Die Mitte-Rechts Regierung von Premier Miroslav Topolanek aus der liberal-konservativen ODS, den Christdemokraten und den Grünen hatte in dieser Legislaturperiode bereits vier Mal Misstrauensanträge abgewehrt. Dieses Mal nun war die Opposition erfolgreich, weil ihr vier Überläufer aus dem Regierungslager geholfen haben.
Sozialdemokraten in Erkläungsnot
Da es in Tschechien, anders als in der Bundesrepublik, kein konstruktives Misstrauensvotum gibt, kann die Opposition die Regierung stürzen, ohne einen neuen Premier zu ernennen. Die Sozialdemokraten (CSSD) erklärten, dass sie zurzeit nicht in die Regierung wollen. Ihrer Meinung nach, sollte Topolanek die Amtsgeschäfte bis zum Ende der EU-Ratspräsidentschaft weiterführen, dann könnte ein Expertenkabinett eingesetzt werden, das Neuwahlen vorbereitet.
Die CSSD um Parteichef Jiri Paroubek ist durch das Misstrauensvotum in der Halbzeit der Ratspräsidentschaft in Erklärungsnotstand geraten. Die Partei ist pro europäisch und für den
Lissabon-Vertrag. Nun muss sich vorwerfen lassen, die Regierung während der EU-Ratspräsidentschaft gestürzt zu haben.
Für den tschechischen Ratsvorsitz bedeutet der Regierungssturz zweifelsfrei einen Ansehensverlust. Diejenigen, die den Tschechen die Führung der EU wegen der instabilen innenpolitischen
Lage und des euroskeptischen Präsidenten Klaus nicht zugetraut hatten, sehen sich jetzt bestätigt.
Die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags ist durch den Regierungssturz zwar nicht direkt bedroht, es könnte aber schwieriger werden. Das Abgeordnetenhaus hat den Vertrag bereits gebilligt.
Die oberste Parlamentskammer, der Senat, will sich im April mit dem Vertrag befassen. Für die Billigung werden mindestens neun Stimmen der ODS-Senatoren benötigt. Topolanek hat als abgesetzter
Premier nun kein Druckmittel mehr um auf die die ODS-Senatoren einzuwirken, von denen zwei Drittel dem Vertrag kritisch bis ablehnend gegenüberstehen.
Wirtschaftskrise nicht Grund für Scheitern
Präsident Vaclav Klaus, Gegner des Lissabon-Vertrages, kommt in der jetzigen Lage großer Einfluss zu. Ihm steht es laut Verfassung völlig frei, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt und
wie lange er die Regierung noch geschäftsführend im Amt lässt. Der Präsident ist dabei an keine Fristen gebunden. Noch-Premier Topolanek hat Klaus vorgeworfen, hinter dem Sturz seiner Regierung
zu stehen.
Topolanek und sein ehemaliger Parteifreund Klaus sind sich Spinnefeind, seitdem Topolanek sich in der ODS mit seinen pragmatischen pro-europäischen Kurs durchgesetzt hat. Präsident Klaus
war darauf aus der ODS ausgetreten. Es gibt auch Spekulationen, der Präsident habe die Regierung Topolanek Scheitern lassen, um den Vertrag von Lissabon zu verhindern. Klaus selbst weist alle
Vorwürfe zurück.
Mit der Wirtschaftskrise, wie vor allem westliche Medien behaupten, hat das Scheitern der tschechischen Regierung nichts zu tun. Tschechien steht wirtschaftlich anders als beispielweise
Ungarn, Rumänien und Lettland verhältnismäßig gut da. So fahren die Skoda-Werke derzeit Sonderschichten, nicht zuletzt auch wegen der der deutschen Abwrackprämie.
Experten sollen regieren
Präsident Klaus hat am Wochenende deutlich gemacht, dass er Topolaneks Kabinett so schnell wie möglich abberufen will, noch vor dem Ende der EU-Ratspräsidentschaft. Der Auftrag zur Bildung
einer neuen Regierung soll an denjenigen gehen, der 101 Abgeordnete des 200-köpfigen Abgeordnetenhauses hinter sich bringt.
Eine solche Merheit käme aber nur zustande, wenn sich die beiden großen Parteien ODS und CSSD einigen würden. Diese haben bisher aber jede Form der Zusammenarbeit abgelehnt. Topolanek und
Vizepremier Bursik (Grüne) vermuten, dass Klaus darauf setzt, dass sich die Parteien nicht einigen werde, damit er ein Beamtenkabinett seiner Wahl einsetzen kann.
Die beiden Erzrivalen Topolanek und Paroubek könnten den Einfluss von Präsident Klaus nur begrenzen, indem sie sich einigen. Zum Beispiel auf die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Am
Wochenende haben die Kontrahenten tatsächlich Gespräche aufgenommen und sich am Dienstag drauf geeinigt, eine Expertenkabinett einzusetzen, das bis zu Neuwahlen im Oktober regieren soll. Die
amtierende Regierung wird also definitiv nicht die EU-Ratspräsidentschaft zu Ende führen und wahrscheinlich Ende April ausgetauscht. Neuer EU-Ratspräsident könnte dann beispielsweise der Chef der
tschechischen Fluglinie CSA werden.
Andreas Wiedemann ist Historiker und lebt inPrag.