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Wie pflegende Angehörige besser unterstützt werden sollen

Die meisten Menschen werden nicht im Heim, sondern zuhause gepflegt. Die SPD möchte pflegende Angehörige besser unterstützen. SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr erklärt wie.

von Vera Rosigkeit · 11. April 2024
Familienpflege

Noch immer sind es zumeist Frauen, die sich um Kinder und pflegebedürftige Angehörige kümmern. Sie sollen künftig besser unterstützt werden, fordert die SPD.

Die Regierungskoalition arbeitet derzeit an einer Familienpflegezeitreform: Was ist geplant?

Wir sind uns einig, der Empfehlung des unabhängigen Beirats für die Vereinbarung von Pflege und Beruf zu folgen, das Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz zusammenzulegen und zu modernisieren. Die Gesetze sind aktuell in unterschiedlichen Ministerien angesiedelt, im Arbeits- bzw. Familienministerium und unterscheiden sich hinsichtlich der Ansprüche für pflegende Angehörige. Zum Beispiel mit Blick auf die Mindestarbeitszeit: Mit der Pflegezeit können sich Beschäftigte bis zu sechs Monaten teilweise oder vollständig freistellen lassen. Bei der Familienpflegezeit müssen sie mindestens 15 Stunden pro Woche weiterarbeiten, ein Anspruch gilt hier dann für 24 Monate.

Wie sehen die Vorschläge der SPD aus?

Von den rund sieben Millionen pflegenden Angehörigen in Deutschland sind der überwiegende Teil berufstätig. Das heißt, dass zu ihren alltäglichen Herausforderungen auch noch eine große körperliche und emotionale Belastung hinzukommt. Pflegende Angehörige stehen sehr unter Druck, das grenzt bis an die Selbstausbeutung. In der Mehrheit trifft das Frauen, weil sie traditionell immer noch für die Sorgearbeit zuständig sind. Das hat Folgen bis in die Gesellschaft: Um ihre Angehörigen zu pflegen, schränken Frauen ihre Berufstätigkeit ein, arbeiten in Teilzeit oder gehen ganz raus aus ihrem Job. Damit wirkt sich die Zeit, die sie für die Pflege abgeben, auch negativ auf ihre Rente aus. Pflegende Angehörige haben aus unserer Sicht mehr Respekt und Unterstützung verdient. Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, ihnen mehr Zeitsouveränität zu ermöglichen, auch durch eine Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten.

Ulrike Bahr, 
Vorsitzende des Ausschusses für Familie im Deutschen Bundestag:

 

„Pflegende Angehörige haben aus unserer Sicht mehr Respekt und Unterstützung verdient.“

Ulrike Bahr

Eine Lohnersatzleistung gibt es derzeit für 10 Tage im Akutfall, fordert die SPD eine Ausweitung dieser Regel?

Hier handelt es sich um eine kurzzeitige Unterstützung, damit Beschäftigte eine neue Pflegesituation organisieren können, wenn beispielsweise ein Familienmitglied einen Schlaganfall hatte. Die SPD will hier mehr: Wir möchten eine Leistung einführen, die für den Verdienstausfall entschädigt, ihn zumindest abfedert, wenn Beschäftigte für einen längeren Zeitraum die Pflege von Angehörigen übernehmen. In diesem Fall sollen Pflegende eine Ersatzleistung vergleichbar mit dem Elterngeld erhalten. So können sie sich unabhängig von ihrem Job kümmern und erhalten damit mehr zeitliche Flexibilität. Ziel ist eine Entlastung der zu Pflegenden und ihrer Pflegepersonen. Ein Verdienstausfall in Form einer Ersatzleistung wäre auch arbeitsmarktpolitisch wichtig. Sie verhindert, dass Pflegende ganz aus dem Job ausscheiden und ist damit ein Beitrag zur Fachkräftesicherung.

Was heißt das für die professionelle Pflege?

Klar ist, dass die professionelle Pflege nicht ersetzt werden kann. Und wir werden weiter für professionelle Fachkräfte werben. Im Hinblick auf den demografischen Wandel müssen wir unbedingt beide Säulen stärken, die professionelle Pflege ebenso wie die der Angehörigen. Denn die meisten Menschen werden nicht im Heim, sondern tatsächlich zuhause gepflegt. Das sind über 80 Prozent der rund fünf Millionen pflegebedürftigen Menschen. Damit sich pflegende Angehörige auch mal eine Auszeit oder Urlaub erlauben können, muss beispielsweise dringend die Kurzzeitpflege ausgebaut werden, hier gibt es einen großen Bedarf.

Wie soll diese Lohnersatzleistung finanziert werden?

Dauer und Anspruch einer Entgeltersatzleistung sind noch Verhandlungssache. Das Bundesfamilienministerium will ein Eckpunktepapier dazu vorlegen, geplant war es schon zu Beginn des Jahres. Einig sind wir uns darin, dass die Pflege von nahen Angehörigen über Verwandtschaftsverhältnisse hinaus gehen muss. Nahestehende sollten in die Definition pflegende Angehörige einbezogen werden.

Was sind danach nahe Angehörige?

Für uns können das auch Nachbarinnen und Nachbarn, aber auch Freundinnen, Freunde sein. Das sind juristische Feinheiten, die geklärt werden müssen. Aber Verwandtschaft ist für uns nicht zwingend. Familie ist für uns da, wo Verantwortung passiert.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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1 Kommentar

Gespeichert von Brigitte Bührlen (nicht überprüft) am So., 14.04.2024 - 13:26

Permalink

Ein finanzieller Leistungsausgleich ist dringend nötig, aber auch eine Bedarfsorientierung bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.
Wäre es angesichts der Tatsache, dass 84% von uns, den Bürgerinnen und Bürgern, den pflegenden Angehörigen versorgt und gepflegt werden nicht an der Zeit auch einen Rechtsrahmen für die Angehörigenpflege zu erstellen? Welche Recht, welche Pflichten haben sie, haben wir?
Kann es sein, dass der überwiegende Teil der Pflege nahestehender Menschen jeden Alters (!) auch zukünftig so nebenher rund um die Uhr tagaus-tagein unter weitestgehend ungeregelten Bedingungen erbracht werden soll und kann?