Wie junge Aktivisten Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten wollen
Die Bilder gehen wieder und wieder um die Welt, als im April des vergangenen Jahres 800 Menschen ihr Leben verlieren. Gestorben beim hoffnungslosen Versuch, ihrem aussichtslosen Leben eine neue Perspektive zu geben. „Wenn man das sieht, fühlt man sich als junger Mensch so ohnmächtig und fragt sich, ob man dagegen etwas machen kann“, sagt Lena Waldhoff. Sich konkret für die Menschen auf dem Mittelmeer einsetzen und damit die Ohnmacht der täglichen Meldungen über immer neue Schiffsunglücke versuchen zu überwinden – genau das macht die 23-jährige Studentin der Erziehungswissenschaften und Philosophie seither.
„Jeder Mensch verdient Rettung aus Seenot“
Als Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins „Jugend Rettet“ setzt sie sich dafür ein, flüchtende Menschen auf dem Mittelmeer aus Seenot retten zu können und eine gemeinsame europäische Lösung für das Massensterben von Menschen im Mittelmeer voranzubringen.
„Jeder Mensch verdient Rettung aus Seenot“ - diesem Ideal folgend gründet der 19-jährige Abiturient Jakob Schoen gemeinsam mit Lena Waldhoff im Juni 2015 in Berlin die Organisation. Angesichts der menschlichen Tragödien verschiebt er dafür kurzerhand den Beginn seines eigentlich angedachten Politikwissenschaftsstudiums. Sie fassen gemeinsam einen Plan: Solange es kein Programm gibt, um Menschen auf der Flucht aus Seenot zu retten, werden sie es machen.
Lücke füllen, die die Europäische Union lässt
„Wenn man etwas ändern will, dann kann man das auch“: Die jungen Erwachsenen versuchen dies auf zweierlei Wegen. Ganz konkret mit einer eigenen, privaten Rettungsaktion auf der zentralen Mittelmeerroute, einer der wichtigsten und zugleich gefährlichsten Fluchtrouten, die von Libyen nach Italien oder Malta führt.
„Wir werden Menschen in Seenot lokalisieren, sie aufnehmen und sicher in den nächstgelegenen Hafen bringen“, sagt Lena Waldhoff. Ihre Idee stützt sich rechtlich auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Die Konvention vom 10. Dezember 1982 verpflichtet Schiffskapitäne der 166 Vertragsstaaten dazu, in Seenot geratenen Menschen Hilfe zu leisten. Außerdem legt die Übereinkunft fest, dass Küstenstaaten einen „angemessenen und wirkungsvollen“ Rettungsdienst fördern müssen. An dieser Stelle setzen die jungen Retter an. Denn sie kritisieren, dass die Europäische Union hier nicht genügend leistet.
800.000 Euro werden benötigt
Ein geeignetes Schiff haben sie bereits ausgemacht und in den Niederlanden besichtigt. Einen 30 Meter langen Fischtrawler möchten sie dazu bis Ende Mai für ihre Zwecke entsprechend umbauen - auch das ehrenamtlich, aber unter Anleitung. Zu ihren festen Beratern gehört neben dem Niederländer Gijs Thieme, der bereits etlichen Hilfsorganisationen bei Schiffskäufen oder -anmietungen kompetent zur Seite gestanden hat auch Harald Zindler, Mitbegründer von Greenpeace Deutschland.
Im Juni soll es soweit sein – wenn sie das Geld dafür zusammen bekommen. Rund 800.000 Euro wollen sie innerhalb eines halben Jahres sammeln, um das Schiff kaufen und sechs Monate betreiben zu können. Seit Beginn der Spendenaktion im vergangenen November sind bislang rund 17.000 Euro zusammengekommen. Etwa 150.000 Euro benötigen sie, um Mitte Februar die erste Phase ihres ambitionierten Vorhabens abschließen zu können: den Kauf und die Überführung ihres Schiffes. Weitere 240.000 Euro sind nötig, um den Fischtrawler, die „MS Humanitas“, entsprechend umzubauen und für die Seenotrettung unter anderem mit Rettungsinseln und Beibooten auszustatten. Läuft es nach dem Plan der Retter, können sie im April in die dritte Phase starten und die laufenden Kosten für ihre halbjährige Rettungsmission sammeln, für die sie etwa 290.000 Euro veranschlagen.
Prominente Unterstützer gibt es bereits
Ein ambitioniertes Vorhaben. „Wir denken nicht daran, dass wir es nicht umgesetzt bekommen“, sagt Lena Waldhoff und ergänzt: „Wir wissen, dass wir einen langen Atem benötigen, aber den haben wir.“ Prominente Fürsprecher konnten sie mit den beiden Schauspielern Maria Furtwängler und Armin Rohde sowie der Moderatorin Jasmin Gerat bereits für sich gewinnen. Ebenso die 11-köpfige Crew um den langjährigen Greenpeace-Kapitän John Castle.
Neben der konkreten Hilfe möchtet „Jugend Rettet“ auch eines sein: Diskussionsplattform über die europäische Asylpolitik für junge Erwachsene. 16 junge Menschen sind dafür derzeit bundesweit als Botschafter aktiv. Sie werben zudem für das Projekt, versuchen weitere Retter und Großspender für dieses zu gewinnen. „Wir wollen ein Ende der Gleichgültigkeit der Europäischen Gemeinschaft gegenüber dem Sterben auf dem Mittelmeer und durch unser Netzwerk Druck auf die Politik ausüben“, sagt Lena Waldhoff.
Freiwilliges Engagement darf nicht die Regel werden
In vielen europäischen Städten wollen sie Botschafter etablieren, die über ihre Aktivitäten informieren und in Gesprächsrunden mit anderen jungen Leuten über mögliche Lösungen diskutieren. Junge Erwachsene sollen ihr Potenzial nutzen und sich politisch engagieren. Und sie wollen selbst wieder überflüssig werden: „Es darf nicht unsere Aufgabe sein, dort Seenotrettung zu leisten. Wir leisten sie jetzt, aber längerfristig muss Europa diese Verantwortung übernehmen.“
node:vw-infobox