Inland

Wie Industrie 4.0 unsere Arbeit verändert

Von Industrie 4.0 zu Arbeit 4.0: Unsere Arbeitswelt steht vor einem großen Wandel. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hält das lebensbegleitende Lernen für eine der wichtigsten politischen Antworten auf die stetigen Veränderungen.
von Vera Rosigkeit · 20. April 2015
Eine Mensch-Roboter-Kooperation auf der Hannover Messe.
Eine Mensch-Roboter-Kooperation auf der Hannover Messe.

Frau Nahles, bedeutet Industrie 4.0 für unsere Arbeitswelt eine historische Zäsur?

Es ist ein evolutionärer Prozess. Durch technologische Entwicklungen im Zuge von Industrie 4.0 wie die Digitalisierung und Robotisierung stellen sich grundsätzliche Fragen. Veränderungen gehen aber auch von den Menschen aus. Sie wünschen sich mehr Flexibilität und dabei gute soziale Absicherung. Vor diesem Hintergrund müssen wir viele Fragen neu beantworten: Zum Beispiel, welche Anforderungen haben wir an die Qualifizierung in der künftigen Arbeitswelt? Was heißt es für den Betrieb, wenn wir mehr Tele- und Heimarbeit haben? Was heißt das für den Arbeitnehmerbegriff? Ja, es ist eine Zäsur, aber eine, die wir gestalten können und sollten.

Wie bereiten Sie sich als Arbeitsministerin darauf vor?

Wir gehen die Fragen mit einem Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ an, in dem wir gemeinsam mit Bürgern, Experten und Sozialpartnern über die Veränderungen diskutieren und Antworten skizzieren. Wir werden bei der Auftaktveranstaltung dazu am 22. April in Berlin ein Grünbuch vorstellen, das die Herausforderungen der künftigen Arbeitswelt benennt. Inhaltlich ist mir eine Frage besonders wichtig: Wie organisieren wir in Zukunft Weiterbildung? Denn in einer Arbeitswelt im ständigen Wandel, in der sich die Anforderungen permanent verändern, ist lebensbegleitendes Lernen eine der wichtigsten politischen Antworten.

Momentan profitieren vor allem Beschäftigte in großen Unternehmen von Weiterbildung. Ich will dafür sorgen, dass die fortlaufende Qualifizierung von Beschäftigten und auch für kleine und mittlere Unternehmen selbstverständlich wird. Wir sind in Deutschland dank unseres arbeitsmarktnahen Berufsbildungssystems gut gerüstet. Auf diesen Stärken müssen wir aufbauen.  

Qualifikation ist die eine Seite. Aber können wir verhindern, dass der Mensch zum Handlager der Maschine wird?

Der Mensch wird stärker mit Maschinen und Computerlösungen arbeiten müssen. Dabei wird er aber vor allem entlastet von teils sinnloser oder körperlich extrem anspruchsvoller Arbeit. Ich habe gerade bei Unternehmensbesuchen unter anderem bei BMW gesehen, wie durch neue Roborter-Technik die schweren Motorenblöcke nicht mehr selber bewegt werden müssen. Das erleichtert  Frauen den Zugang zu gut bezahlter, qualifizierter Tätigkeit im Facharbeiterbereich, die ihnen aus körperlichen Gründen bisher versagt geblieben ist.

Was halten sie vom Vorschlag der Autoren Constanze Kurz und Frank Rieger, eine „Automatisierungsdividende“ einzuführen?

Die alte Idee einer Maschinensteuer hilft uns nicht weiter. Wir sollten uns nicht vor Innovationen verschließen, sondern sie unterstützen und Unternehmen in Deutschland halten. Mein Ansatz ist es eher, die Mitbestimmung und die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen so fortzuentwickeln, dass die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft auch in der digitalen Wirtschaft erhalten bleiben und soqar gestärkt werden. Ausgehend von dieser spannenden Grundsatzfrage müssen wir an ganz konkreten Lösungen arbeiten: Wie sichern wir „Crowdworker“ und Kleinstselbstständige besser gegen die Risiken zum Beispiel der Arbeitslosigkeit und des Alters ab? Und wie bekommen wir eine vernünftige Kapitalbesteuerung hin? Man darf ja ernstlich in Frage stellen, dass dies mit der aktuellen Abgeltungssteuer befriedigend gelingt.

Wäre die Bürgerversicherung eine gute Idee?

Viele neue Geschäftsmodelle laufen über unstetere Konstruktionen als das klassische Angestelltenverhältnis. Das erfordert neue Lösungswege. Die Bürgerversicherung bietet hier eine Antwort, ebenso wie die Forderung nach einer Öffnung der Rentenversicherung für Kleinstselbstständige, die die SPD schon im letzten Wahlprogramm hatte.

Von Wirtschaftsseite ist die Erwartungshaltung an 4.0 enorm. Kann man da überhaupt noch Weichen stellen oder wie der DGB sagt, die Arbeit der Zukunft gestalten?

Natürlich sind technische Entwicklungen extrem schnell. Und gesellschaftliche Veränderungen in demokratischen Strukturen brauchen eine gewisse Zeit. Aber anstatt sich scheu machen zu lassen, müssen wir den Stier bei den Hörnern fassen. Wir haben die vorhergehenden Industrialisierungswellen mitgestaltet. Wir müssen und können das auch hier.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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