Inland

Wie Fachkräftemangel und eine 4-Tage-Woche zusammen passen

Für die Soziologin Bettina Kohlrausch gilt es gerade in Zeiten des Fachkräftemangels verstärkt über eine Arbeitszeitverkürzung nachzudenken. Ziel müsse ein besseres Arrangement von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit sein, sagt sie.
von Vera Rosigkeit · 28. März 2023
Bettina Kohlrausch ist Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans Böckler Stiftung Düsseldorf (WSI)
Bettina Kohlrausch ist Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans Böckler Stiftung Düsseldorf (WSI)

Wenn es um die Sicherung von Fachkräften geht, wird auch immer wieder der Vorschlag laut, dass Potenzial von Frauen zu heben, die noch in Teilzeit arbeiten. Wie schätzen Sie dieses Potenzial ein?

Frauen sind so qualifiziert wie nie. Natürlich schlummert da ein Potenzial. Die Frage, die dahintersteckt ist aber, wie man Frauen dazu bringen kann, ihr Arbeitszeitvolumen zu erhöhen. Das ist sicherlich möglich, indem man beispielsweise die Kinderbetreuungsplätze ausbaut. Ich gehe aber davon aus, dass das allein nicht ausreichen wird. Gerade angesichts der Erfahrungen, die Frauen in der Pandemie gemacht haben, in der die Sorgearbeit plötzlich wieder auf die Mütter zurückfiel, würde ich sagen, dass diese Diskussion voraussetzungsreicher ist als sie auf dem ersten Blick erscheint. Frauen arbeiten viel mehr, als im Begriff Teilzeit zum Vorschein kommt, sie werden nur nicht dafür bezahlt. Der Arbeitsbegriff, der dahintersteckt, ist einer, der nur Erwerbsarbeit meint und damit sehr verkürzt. Aus diesem verkürzten Begriff politische Instrumente abzuleiten, kann nur ein Rückschritt sein

Wie sollten wir Arbeit anders denken?

Wenn man möchte, dass Frauen mehr Arbeit leisten, für die sie bezahlt werden, dann müssen wir eine Antwort darauf finden, wer die Arbeit macht, für die sie nicht bezahlt werden. Der Ausbau der Kinderbetreuung wird beispielweise nicht von heute auf morgen erledigt sein, denn gerade in diesem Bereich fehlen Fachkräfte. Und aktuell sind wir noch sehr weit davon entfernt, Vollzeitarbeit mit einem gut funktionierenden Betreuungsangebot abzudecken. Schließlich geht es bei der Betreuung auch um Qualität. Zudem stößt das auch an Grenzen, denn Menschen wollen sich ja auch um ihre Kinder kümmern. Und es geht um mehr als um die Kinder. Menschen sorgen sich auch um andere Menschen, auch in Form von Ehrenamt. Das hält unsere Gesellschaft zusammen. Deshalb bleibt Vereinbarkeit ein Stressfaktor und berührt grundsätzlich die Frage von Zeitsouveränität, von Organisation von Arbeit und von Erholungszeiten.

Neben mehr Angeboten für die Kinderbetreuung - welche Voraussetzungen müssten noch erfüllt sein?

Eine Voraussetzung wäre, dass Männer mehr Sorgearbeit übernehmen würden. Das wiederum kann aber nur gelingen, wenn Männer ihrerseits ihre Arbeitszeit etwas reduzieren. Mit Blick auf das Arbeitszeitvolumen insgesamt, würde das wahrscheinlich auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen. Die Frage bleibt, wie wir das Arrangement von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit so ausrichten, dass es weniger belastend ist, seltener zu Überlastung führt und wir es vor allem gesund bis zur Rente und darüber hinaus schaffen. Das muss so gestaltet werden, dass die Leute durchhalten. Das geht nur, indem wir über Arbeitszeiten nachdenken.

Denken Sie dabei an eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung?

Es klingt auf dem ersten Blick zwar nicht naheliegend angesichts drohenden Fachkräftemangels von Arbeitszeitverkürzung im Sinne einer verkürzten Vollzeit zu sprechen. Doch wir wissen, und das zeigen uns neue Studien, dass Menschen mit guten Arbeitsbedingungen deutlich produktiver sind und seltener krank. Ich denke da über eine 30-Stunden- und 4-Tage-Woche nach. Um zu verstehen, dass Frauen verstärkt in Teilzeit arbeiten, muss man sich auch mal hineindenken, was es heißt, sich um andere zu sorgen. Das kostet Kraft, denn es geht hier nicht einfach nur um Betreuung. Woher sollen denn die Ressourcen kommen, um das alles zu leisten? Und will man am Ende des Tages das alles nur als Belastung verbuchen und erleben?

Wie könnte ein Weg aussehen?

Es ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn wir dafür sorgen, dass Frauen mehr Erwerbsarbeit leisten können. Wir sollten aber auch endlich anfangen, diese zwei Arten von Arbeit anders zusammenzudenken. Und es wird nicht funktionieren, wenn man nicht auch Forderungen an die Männer adressiert. Ich bin sicher, wenn Männer weniger Erwerbsarbeit leisten, können Frauen mehr Erwerbsarbeit leisten. Und beide zusammen können mehr Sorgearbeit leisten. Und unter dem Strich gehe ich sogar davon aus, dass das zu mehr Produktivität führt.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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