Inland

Wie die Zivilgesellschaft das Leid der Flüchtlinge mildert

Auf Pappkartons kauernde Familien, Krätze, Hunger: Die Behandlung neu ankommenden Flüchltinge in Deutschland erinnert an Bilder aus der Dritten Welt . Aus reiner Menschlichkeit packen freiwillige Helfer mit an. Sie retten mit ihrem Einsatz die Würde einer reichen Industrienation.
von Robert Kiesel · 11. August 2015
Spenden für Flüchtlinge
Spenden für Flüchtlinge

Wer in den vergangenen Tagen die unter den Hashtags #LaGeSo und #ZeltstaDD verbreiteten Meldungen aus Berlin und Dresden verfolgt hat, kann eigentlich zu keinem anderen Urteil kommen: Deutschland, die Politik und die Verwaltung, sie haben versagt. Bei der Aufgabe einer menschenwürdigen Aufnahme von Flüchtlingen blamiert sich eines der reichsten Länder der Erde bis auf die Knochen, so das vernichtende Urteil. In Zeltstädten zusammengepferchte oder obdachlos in Parks kampierende Flüchtlinge, Zustände vergleichbar mit jenen in Uganda oder südafrikanischen Slums machen eine Verteidigung des Angeklagten fast unmöglich.

Facebook und Twitter koordinieren Hilfe für Flüchtlinge

Und doch soll dieser Text ein positives Bild zeichnen. Eines von der besten Seite dieses Landes, seiner menschlichen. Verantwortlicher Akteur ist einer, der sich sonst meist im Hintergrund hält, stille Hilfe leistet und dem in der Öffentlichkeit vom pöbelnden Mob meist die Show gestohlen wird: die Zivilgesellschaft. In Berlin wurde sie jüngst sichtbar. Bereits wenige Stunden nach den ersten Meldungen von katastrophalen Zuständen vor dem dortigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) organisierten sich die freiwilligen Helfer. Erst über Facebook und Twitter, später über eine eigene Homepage knüpften sie ein Netz, dessen Hilfsbereitschaft die Initiatoren wenig später selbst überwältigte. „Bitte keine Spenden mehr“ hieß es kurzfristig am Freitagabend. Auch das ist Deutschland.

Einer der vielen, von der Öffentlichkeit meist kaum bis gar nicht wahrgenommenen Helfer ist Sebastian Jabbusch. Der 32-Jährige lebt in Berlin und ist im Internet gut vernetzt. „Ich habe auf Twitter von der Lage vor der LaGeSo gelesen und dachte: Krass, da muss man irgendwas machen“, erklärt der Selbstständige. Für ihn, der sich selbst nicht „Aktivist“ nennen mag, stand schnell fest: „Einen Schlafplatz anbieten ist die beste Art zu helfen.“ Jabbusch klickte sich durch mehrere flugs von Helfern eingerichtete Facebookgruppen, suchte Ansprechpartner. Schließlich hinterließ er seinen Namen mit Telefonnummer und dem konkreten Hilfsangebot.

Der "Gast aus Mali" schläft jetzt im Hochbett

Zunächst tat sich nichts, dann kam der Anruf. „Eine Frau war dran. Sie erzählte mir von einem jungen Mann. Er hatte drei Nächte lang in einem Park gegenüber der LaGeSo geschlafen“, so Jabbusch. Er sagte zu, wenig später stand der Mann vor seiner Tür. Jetzt schläft er in einem Hochbett im Flur, Jabbusch nennt ihn seinen „Gast aus Mali“. Wie lange der Gast bleibt, woher er kommt und was er durchgemacht hat, all das weiß Jabbusch nicht. „Er hat ein Dach über dem Kopf, frische Klamotten und kann duschen, damit ist ihm geholfen.“

Allerdings: Im Gegensatz zu vielen anderen schließt sich Jabbusch der grundsätzlichen Kritik am Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland nicht an. „Ich kann die Überforderung der Bürokratie komplett verstehen“, sagt er. Die derzeitige „Welle von Flüchtlingen“ führe zu einem „akuten Notstand“, diesen zu lindern möchte er helfen. In Richtung fremdenfeindlicher Kräfte, die diesen Notstand für ihre Sache zu nutzen versuchen, sagt Jabbusch: „Die muss man mit Mitmenschlichkeit erschlagen“.

Besserung in Sicht?

Immerhin, in Berlin wie auch in Sachsen scheinen der öffentliche Aufruhr und die zivilgesellschaftliche Hilfe gefruchtet zu haben. So wurden am Montag einige Hundert der knapp 1000 in der sogenannten Zeltstadt Dresden untergebrachten Flüchtlinge in eine feste Unterkunft nach Leipzig gebracht. In Berlin stellte der für die Versorgung der Flüchtlinge zuständige Sozialsenator Mario Czaja (CDU) am Dienstag ein "Konzept" für den Umgang mit Flüchtlingen vor. Sebastian Jabbusch und viele andere werden den Umgang der Behörden mit Flüchtlingen weiter genau beobachten und im Notfall Hilfe leisten. Darauf ist in diesem Land, trotz allem, immer noch Verlass.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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