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Wie die SPD eine De-Industrialisierung Deutschlands verhindern will

Droht Deutschland eine De-Industrialisierung? Entscheidend ist die Entwicklung der Energiepreise, sagt SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal. Auch die EU müsse ihre Möglichkeiten als einer der größten Wirtschaftsräume besser nutzen.
von Kai Doering · 23. Januar 2023
Chipherstellung in Dresden: Das Risiko im internationalen Standort-Wettbewerb abgehängt zu werden ist nach wie vor groß, sagt SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal.
Chipherstellung in Dresden: Das Risiko im internationalen Standort-Wettbewerb abgehängt zu werden ist nach wie vor groß, sagt SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal.

Wegen der hohen Energiepreise werden die Warnungen vor einer drohenden De-Industrialisierung Deutschlands lauter. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein?

Das Risiko im internationalen Standort-Wettbewerb abgehängt zu werden ist nach wie vor groß. Wir müssen deshalb genau beobachten, was in Asien passiert, wo die Energiepreise niedrig sind. Gleiches gilt für die USA. Der Inflation Reduction Act (IRA) ist zuallererst ein wichtiges Signal für den globalen Klimaschutz. Die USA sind wieder bereit Verantwortung und eine Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels zu übernehmen. Gleichzeitig zielt der IRA darauf ab, Investitionen in die USA umzulenken. Einige Regeln verstoßen allerdings gegen geltendes WTO-Recht. Europa ist gefordert, eine adäquate wirtschafts- und industriepolitische Antwort auf den IRA zu finden. Elementare Voraussetzung für die zukünftige industrielle Stärke Europas sind wettbewerbsfähige Energiepreise.

Was muss hier passieren?

Mit dem Thema hat sich die SPD-Bundestagsfraktion bei ihrer Klausur im September 2022 in Dresden und Anfang Januar in Berlin eingehend beschäftigt und auch ein Positionspapier dazu beschlossen. Grundlage für unsere Wettbewerbsfähigkeit sind tragfähige Energiepreise, nicht nur beim Strom, sondern auch Gas und Wasserstoff. Entscheidend wird ein zügiger Ausbau der Erneuerbaren Energien, Netzte und Speicher sein. Für den Übergang versprechen wir uns von der bereits beschlossenen Strom- und  Gaspreisbremse eine Deckelung der Kosten. Da die Regelungen aufgrund des europäischen Beihilferahmens bis April 2024 befristet sind, können sie aber keine Basis für längerfristige wirtschaftliche Investitionen sein. Deshalb braucht es eine Reform beim Strommarktdesign sowie einen europäischen Industriestrompreis. Zudem braucht das EU-Beihilferecht ein Update. Die überholten Beihilferegeln müssen an die neuen Realitäten der Weltwirtschaft angepasst werden. Es braucht zeitnah einen Vorschlag durch die EU-Kommission.

Woran denken Sie dabei konkret?

Zum Beispiel sollten wir Gaskraftwerke, die H2-ready sind und als Back-up dienen, wenn nicht genügend Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt werden kann, in einen Kapazitätsmarkt aufnehmen. So schaffen wir eine langfristige Perspektive und sorgen dafür, dass notwenige Investitionen in die Versorgungssicherheit getätigt werden.

Abgesehen von der Energieversorgung fordert die SPD-Fraktion auch eine „europäische Industrie-Investitionsoffensive“. Was ist damit gemeint?

Wir müssen dafür sorgen, dass Zukunftstechnologien in Europa entwickelt und gehalten werden. Dafür brauchen wir u.a. eine gute Wasserstoff-Infrastruktur. Nur so wird es möglich, in Europa eine innovative Chemieindustrie zu haben oder eine wettbewerbsfähige Stahlindustrie. Wir schlagen deshalb auch vor, nicht genutzte Gelder aus dem Corona-Wiederaufbauprogramm „NextGenerationEU“ umzuwidmen.

Aus Sicht der SPD-Fraktion nutzt die EU ihre Möglichkeiten als einer der größten Wirtschaftsräume zu wenig. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Da gibt es viele Beispiele. Wenn wir etwa an die Automobilindustrie denken: Hier gehört die Zukunft dem Elektroauto. Dazu gehört aber auch, dass wir die Batterien und ihre Bestandteile nicht in anderen Regionen der Welt einkaufen, sondern sie innerhalb der EU selbst bauen, Stichwort Wertschöpfungsketten. Ein anderes Beispiel sind Mikrochips: Für die Industrie 4.0 werden wir sie in noch deutlich größerem Umfang brauchen als jetzt schon. Der Großteil wird aber in Asien produziert. All das sind Dinge, die wir dringend ändern müssen, auch um als Wirtschaftsraum resilienter zu werden.

Als wichtigster Handelspartner Deutschlands werden in dem Positionspapier die USA genannt. Die SPD-Fraktion fordert von der EU die Möglichkeiten für einen erneuten Anlauf für ein Freihandelsabkommen zu sondieren. Wie stehen die Chancen für ein neues TTIP?

Auslöser dieses Vorschlags ist der bereits erwähnte „Inflation Reduction Act“ in den USA, der dortige Produktionen, Unternehmen und Produkte bevorzugt und Investitionen in den USA attraktiver macht. Darauf brauchen wir eine europäische Antwort. Eine Möglichkeit kann sein, unsere beiden Handelsräume näher zusammenzurücken. Nichts anderes macht ja ein Freihandelsabkommen. Allerdings haben die USA klar signalisiert, dass sie im Moment kein Interesse an Verhandlungen haben.

Welche Rolle kann Russland in den zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen der EU noch spielen?

Kurz-mittelfristig sicher keine. Wenn es Russland langfristig und nach Beendigung seines Angriffskriegs gegen die Ukraine gelingt, sich politisch ganz anders aufzustellen, hat es eine Perspektive mit Europa. Allein schon die enormen Rohstoffvorkommen und die Potenziale für Erneuerbare Energien bilden eine wichtige Grundlage, auch für eine wirtschaftlich erfolgreiche Entwicklung Russlands selbst. Das alles verspielt Putin zurzeit mit seinem Krieg in der Ukraine.

Eine wichtige Rolle für eine gelingende Transformation spielen aus Sicht der SPD-Fraktion die Sozialpartner, allen voran die Gewerkschaften. Warum kommt es auf sie besonders an?

Wir werden in den nächsten Jahren disruptive Veränderungen erleben. Das heißt, dass wir einen enormen Qualifizierungsbedarf haben. Umschulungen und Weiterbildungen werden eine zentrale Rolle spielen für die Frage, ob die Transformation in Deutschland gelingt. Genauso wichtig ist es, in Ausbildung und Qualifizierung zu investieren, damit auch genügend Fachkräfte nachkommen. All das wird nur gelingen, wenn wir eng mit den Sozialpartnern zusammenarbeiten. Es kann auch nicht sein, dass die sogenannte Digitalisierungsdividende nur den Arbeitgebern zugutekommt. Sie muss sich auch im Portemonnaie der Beschäftigten ankommen oder Optionen für kürzere Arbeitszeiten öffnen. Für diese Aushandlungsprozesse braucht es starke Gewerkschaften und Betriebsräte.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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