Wie Deutschlands Autokonzerne unsere Zukunft verspielen
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Als im 19. Jahrhundert die ersten Dampfschiffe aufkamen, reagierten die Reeder gelassen. Sie bauten einfach größere Segelschiffe und glaubten fest daran, dass Schiffe mit Motorantrieb nur eine vorübergehende Erscheinung sein würden. Einige Jahrzehnte später waren die Segelschiffe verschwunden.
Die Konkurrenz wird nicht ernst genommen
In einer ähnlichen Situation wie die Reeder vor 150 Jahren befinden sich die deutschen Autohersteller im Jahr 2017. Noch werden sie ihre diesel- und benzinbetriebenen Fahrzeuge gut los. Die Frage ist, wie lange noch. In den USA rüstet sich Tesla, künftiger Marktführer im Automobilbereich zu werden. Das Unternehmen setzt seit seiner Gründung 2003 konsequent auf die Elektromobilität.
Doch statt die aufkommende Konkurrenz ernst zu nehmen und ambitioniert eigene Elektrofahrzeuge zu entwickeln, setzen Volkswagen, Mercedes und Co lieber auf effizientere und größere Verbrennungsmotoren. Und weil die Kunden zwar gerne SUV fahren und trotzdem einen gewissen Sinn für die Umwelt haben, wird eine Technik eingebaut, die die Abgaswerte etwas verträglicher erscheinen lässt – deutsche Ingenieurskunst auf Spitzenniveau.
Ein Zukunftskonzept für die Automobilbranche
Martin Schulz hat das erkannt. Die Automobilindustrie stehe „vor dem größten Strukturwandel ihrer Geschichte. Es geht um nicht weniger als die Neuerfindung der Automobilität“, schreibt der SPD-Kanzlerkandidat in einem Fünf-Punkte-Papier „für die Zukunft des Automobilstandorts Deutschlands“, das er am Freitag veröffentlicht hat.
Schulz fordert darin „ein Zukunftskonzept für die Automobilbranche“ inklusive einer neuen „Investitionskultur“, einer „verbindlichen europäischen E-Mobilititätsquote“, einer eigenen Batterieproduktion in Deutschland und einem raschen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Das Ziel: Die Bundesrepublik soll zum „Leitmarkt und Leitanbieter von Elektromobilität werden“.
Angela Merkel lässt die Autobauer gewähren
Das ist ambitioniert und vollkommen richtig. Ohne klare Ziele wird der Übergang zur Elektromobilität schon deshalb scheitern, weil die Autohersteller bisher keinerlei Sinn darin sehen, in eine neue Technik zu investieren. Unter der Regierung einer unambitionierten Kanzlerin Merkel, die im Mai mal eben lapidar erklärte, das von der Bundesregierung ausgegeben Ziel von einer Million Elektroautos auf deutschen Straßen bis 2020 werde wohl nicht erreicht, kommen sie damit bisher auch durch.
Dabei steht das Auto-Dilemma sinnbildlich für Merkels Regierungsstil. Statt Zukunftskonzepte zu entwickeln, verwaltet sie den Status quo. Es geht uns doch gut. Warum sollen wir etwas ändern? So ähnlich dürften die Reeder im 19. Jahrhundert auch gedacht haben.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.