Wie Carsten Sieling Bremen auf Kurs bringen will
Carsten Sieling ist gelegentlich das, was die Hanseaten tüddelig nennen. Auf Hochdeutsch: zerstreut. „Ich möchte Bürgermeister der Freien Hansestadt Ha… werden“, meinte der SPD-Bundestagsabgeordnete. Dieser kleine Ausrutscher auf dem SPD-Landesparteitag brachte Carsten Sieling nicht nur viele Lacher, sondern vor allem Sympathien ein. Ihn verschlägt es nämlich ausdrücklich nicht an die Elbe. Sieling ist seit heute Bürgermeister des kleinsten Bundeslandes Bremen.
Klar, dass Carsten Sieling als Polit-Profi auf dem Parteitag sofort einen launigen Übergang fand. Die Delegierten ebneten ihm den Weg zu diesem Projekt mit ihrer Zustimmung von satten 96,8 Prozent. Sieling findet einen solchen Rückhalt, weil er ein Teamplayer ist und immer wieder das Gespräch sucht – auch in den Ortsvereinen. Und weil sein Tatendrang ansteckend ist. Ihm trauen die Genossen den notwendigen Neuanfang zu.
Gabriel: Sieling ist „Glücksfall für die Bremer Sozialdemokratie“
Wer mit ihm diskutiert, merkt alsbald: Dieser Mensch ruht in sich selbst. Treiben, nein, das lässt er sich nicht. Gleichwohl aber weiß Carsten Sieling ganz genau, was er will. Sein Projekt, Bremer Bürgermeister in einer schweren Wahlperiode mit knapper rot-grüner Mehrheit zu sein, hat er in einem Sechs-Punkte-Strategiepapier bereits in einen Rahmen gegossen. Bildung, Arbeit und Wohnen sind die Themen, für die Carsten Sieling steht – in diesen Bereichen will er spürbare Verbesserungen für die Menschen umsetzen.
Als „Glücksfall für die Bremer Sozialdemokratie“ bezeichnete deshalb auch SPD-Chef Sigmar Gabriel Sielings Wahl in seinem Glückwunschschreiben. Er sei sich sicher, dass Sieling „die nun fast 70 Jahre andauernde Tradition von sozialdemokratischen Bürgermeistern in Bremen hervorragend ausfüllen“ werde.
Gerechtigkeit ist Sielings Thema
In die SPD eingetreten ist der 56-Jährige anno 1976. Was war der Grund? Als Antwort auf diese Frage zitiert Carsten Sieling zuerst schmunzelnd den Slogan zur Bundestagswahl im gleichen Jahr: „Zieh mit, wähl‘ Schmidt.“ Er ergänzt: „Die solidarische Gesellschaft und Gerechtigkeit haben mich angetrieben.“ Auslösender Faktor waren schließlich die politischen Kräfteverhältnisse in seinem Heimatort, Linsburg im Landkreis Nienburg, knapp 40 Kilometer südlich von Bremen. „Bei uns hatte die CDU eine satte Mehrheit von 75 Prozent“, erinnert sich Carsten Sieling. Seine Eltern gründeten eine SPD-Organisation und er, der damals gerade 17-Jährige, war dabei.
Anfangs engagierte sich Carsten Sieling für die Jugendarbeit im Ort. „Aber das war nicht so wie heute“, sagt der Bürgermeister in spe, „da ging es um einen Jugendraum. Der Gemeinderat bewilligte nach langer Diskussion 120 Mark im Jahr für uns.“ Über die offene Jugendarbeit ging es auf der Parteischiene weiter: 1977 Eintritt bei den Jusos, 1978 Wahl zum Juso-Vorsitzenden im Unterbezirk. Parallel dazu absolvierte Carsten Sieling eine kaufmännische Ausbildung und nutzte das, was die Sozialdemokraten unter Willy Brandt und Helmut Schmidt forciert hatten: Er holte sein Abitur nach und studierte über den zweiten Bildungsweg Wirtschaftswissenschaften.
Schwierige Zeiten für Bremen
Solidarische Gesellschaft und Gerechtigkeit: Diese beiden Begriffe sind die Ecksäulen der Politik, für die der neue Bremer Bürgermeister steht. Inhaltlich gefüllt hat er sie mit seiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter und ausgewiesener Finanzexperte. Es gibt kaum einen Parlamentarier, der so vehement die Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorangetrieben hat, wie der Bremer. Er ist Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages und des Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin), mischt im Unterausschuss Kommunales mit und ist stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss.
Innerhalb der SPD gilt Carsten Sieling als Linker. So engagiert er sich in der Parlamentarischen Linken der SPD, deren Sprecher er bis vor wenigen Wochen war. Zusammen mit Johanna Ueckermann und Ralf Stegner hat Sieling im November auch noch die „Magdeburger Plattform“ ins Leben gerufen, um die Linke in der SPD wieder schlagkräftiger zu machen.
Diese Tatsache gefällt den Wirtschaftsliberalen der Bremer Handelskammer gar nicht. In einem Interview mit dem „Weser-Kurier“ ist Präses Christoph Weiss erst einmal auf Distanz zu Carsten Sieling gegangen. Doch Konfrontation ist dessen Sache nicht, im Gegenteil: Der neuen Mann im Rathaus hat bereits kurz nach seiner Nominierung durch den SPD-Landesvorstand die Gespräche mit zahlreichen Interessenvertretern gesucht. Nur mit ihnen gemeinsam, so seine Erfahrung, lassen sich die schwierigen Zeiten für das kleinste Bundesland angesichts von Schuldenbremse und Konsolidierungshilfen des Bundes für den Haushalt bewältigen.
Und: Carsten Sieling ist fest entschlossen, etwas gegen die niedrige Wahlbeteiligung zu tun. Sie lag bei den Wahlen im Mai bei nur 50,2 Prozent und war ein Grund dafür, dass Jens Böhrnsen seinen Verzicht aufs Bürgermeister-Amt erklärte. Die Analyse seines Nachfolgers fiel beim Landesparteitag entsprechend aus. „Die Demokratie in Bremen befindet sich in einer Akzeptanzkrise“, sagt Sieling.
So heißt es denn auch in seinem Sechs-Punkte-Strategiepapier: „Wir müssen neues Engagement für unsere beiden Städte freisetzen, Begeisterung und Leidenschaft für das Leben und Arbeiten in Bremen und Bremerhaven entfachen. Die politische Zustimmung zu unserem Gemeinwesen und unserer Politik muss wieder deutlich steigen.“