Inland

„Wenn sie wegfallen, tut es weh“

von Susanne Dohrn · 16. März 2011
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vorwärts.de: Können Sie sich ein Steuer- und Abgabenmodell vorstallen, das Unternehmen Anreize gibt, mehr Arbeitsplätze zu schaffen z.B, Autobahnmautkassierer statt elektronischer Verkehrserfassung, Leergutannehmer statt Leergutautomaten in Supermärkten?
Peter Bofinger:
Der Staat müsste dann eine Subvention einführen, die die Produktivität senkt. Die Frage ist, ob das sinnvoll ist. Eine gewisse Rationalisierung ist vernünftig. Es würde mir schon reichen, wenn man die Subventionierung von Teilzeitarbeit abschafft.

Sie meinen die geringfügig Beschäftigten, die auf 400-Euro-Basis arbeiten?
Diese Form der Subventionierung hat man in den 60er Jahren eingeführt, als die Arbeitsmärkte leergefegt waren und man krampfhaft versucht hat, Arbeitskräfte - vor allem Frauen - in den Arbeitsmarkt zu bringen. Heute gibt es dafür überhaupt keinen Grund mehr.

Ist Ihr Modell für alle die, die auf das Geld angewiesen sind, nicht ziemlich hart?
Es geht um sieben Millionen Menschen, die entweder zu ihrem Einkommen dazu verdienen oder die nur auf 400-Euro-Basis arbeiten. Wenn jemand regulär arbeitet und in einem Mini-Job 400 Euro dazu verdient, muss man sagen: Warum soll das weniger besteuert werden als das was er regulär verdient?

Die meisten sind Frauen...
... die Frauen, die 400 Euro dazu verdienen, während der Mann eine Vollzeittätigkeit hat, werden doppelt begünstigt: einerseits durch das Ehegattensplitting und zweitens bekommen sie die 400 Euro brutto für netto. Davon profitieren am meisten die hohen Einkommen. Wenn die Zahnarztgattin dazu verdient, müsste sie das mit 47 Prozent versteuern. Beim 400-Euro-Job bekommt sie es brutto für netto.

Würde die Abschaffung von 400-Euro-Jobs auch zu weniger Schwarzarbeit führen?
Die 400-Euro-Jobs sind ein Tarnkappenmodell. Man kann Schwarzarbeit sehr gut damit verbergen, weil niemand prüfen kann, ob derjenige, der gerade arbeitet, im 400-Euro-Bereich ist oder drüber. Vor allem für Selbstständige bietet das ein Riesenbetrugspotential. Die können Onkel, Tante, Oma pro forma einstellen und für jeden 400 Euro von den Einkünften abziehen.

Gibt es genug Vollzeitjobs, wenn die 400-Euro-Jobs abgeschafft würden?
Die Arbeit ist da - vor allem im Dienstleistungsbereich. Der Ansatz ist zu sagen: Fördert lieber Vollzeitarbeit im Niedriglohnbereich, indem ihr sie von den Sozialabgaben entlastet: Alleinstehende bis zu einem Einkommen von 750 Euro, Verheiratete bis 1300 Euro. Bis 1300 Euro für Alleinstehende und 2000 Euro für Verheiratete wird der Sozialversicherungszuschuss nach und nach auf null gesenkt.

Müssten dann die Steuerzahler nicht noch mehr zahlen für die Subventionierung von Arbeit?
Wenn man das mit einem Mindestlohn von 7,50 Euro kombiniert, kann ein Alleinverdiener von dem Geld leben ohne dass er zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen muss. Es wäre auch für das Selbstbewusstsein gut, nicht auf Unterstützung angewiesen zu sein. Wenn Kinder da sind und das Familieneinkommen nicht reicht, würde die Entlastung von den Sozialabgaben greifen.

Warum hat 2006, als Sie Ihr Modell vorstellten, niemand so richtig angebissen?
Die 400-Euro-Jobs sind sehr beliebt. Wenn sie wegfallen tut es weh. Zudem sind die meisten 400-Euro-Jobber nicht Menschen am Rande des Existenzminimums sondern kommen aus dem mittleren Einkommensbereich. Sie sind eine große und wichtige Wählerschicht. Die Eine Partei, die sich an das Thema heranwagt, macht sich sieben Millionen Feinde. Ich weiß nicht, ob ich als Kanzlerkandidat den Mut hätte, die 400-Euro-Jobs abzuschaffen. Zum Glück bin ich Wissenschaftler und kann das fordern.

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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