Was konnte, was kann Entwicklungspolitik bewirken? "Wir waren in den frühen 70er Jahren weiter als heute", bedauert Erhard Eppler. Es bleibt die Hoffnung auf einen europäischen - und rot-grünen - Neuanfang.
Das schlimmste Elend abschaffen
Am 14. November 1961, vor fünfzig Jahren, wurde das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegründet, gemeinhin Entwicklungshilfeministerium genannt. Sieben
Jahre später übernahm erstmals ein Sozialdemokrat die Leitung des Hauses - und musste ernüchtert entdecken, so Erhard Eppler: "Das war kein Ministerium. Das war eine Agentur zur Propagierung der
Entwicklungshilfe." Über drei Viertel seines ohnehin bescheidenen Etats wurde in anderen Ministerien verfügt.
Das sollte sich ändern. Der Etat wuchs, der Optimismus auch. Eppler: "Wir haben wirklich geglaubt, wir könnten bis zum Ende des Jahrhunderts das schlimmste Elend abschaffen."
Das erwies sich bald als Illusion. In Deutschland schon mit dem Kanzlerwechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt. Eppler, der 1974 im Streit mit Schmidt zurücktrat, formuliert es so: "Willy Brandt hat mich gegen diejenigen in Schutz genommen, die gesagt haben: der spinnt. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar."
"Krieg frisst Geld"
Alle ethischen Motive der Entwicklungspolitik seien "weggewischt worden durch die Interessen der Staaten". So sieht es Egon Bahr, der 1974 Epplers Nachfolge antrat und beobachten musste,
dass die Staaten im Ost-West-Konflikt verfangen waren und darüber "die Heuchelei zur Gewohnheit wurde".
Immerhin habe man geglaubt und den Partnern in den damals noch so genannten Entwicklungsländern versichert: wenn die Gefahr eines Dritten Weltkriegs dereinst abgewendet sein würde, dann komme die Zeit, "sich mit aller Macht der Lösung des Nord-Süd-Konflikts zu widmen." Aber, so Bahr: "Wir müssen uns schämen. Wir haben unser Wort nicht gehalten." Osama bin Laden "und der amerikanische Präsident haben sich den Krieg erklärt", und: "Krieg frisst Geld."
Von 1978 bis 1982 hieß der Minister im BMZ Rainer Offergeld. Um Geld musste er nicht mehr kämpfen, erinnert er sich, aber "alles, was vermeintlichen amerikanischen Interessen widersprach, das machte man nicht." Dennoch habe er ein Projekt für Nicaragua durchsetzen können. Das mittelamerikanische Land sei aus US-Sicht ein "Paria" gewesen - unberührbar. "Als ich das Projekt in Washington vorstellen wollte, schlug mir überall eisiges Schweigen entgegen."
Marktradikale Welle kontra Solidarität
Die 1980er Jahre gelten unter Entwicklungspolitikern als verlorenes Jahrzehnt. In die Endphase des Ost-West-Konflikts - niemand wusste, dass es die Endphase war - fiel das Erscheinen "der
marktradikalen Welle", die, so Erhard Eppler, "alles weggeschwemmt hat, was auf Solidarität ausgelegt war." Eine Werteverschiebung fand statt: von Empathie zu Gier. Mit dem Ergebnis, seufzt
Eppler: "Wir waren in den frühen 70er Jahren weiter als heute."
Erst mit der Konferenz von Rio 1992 ist die Bekämpfung des Nord-Süd-Gefälles allmählich wieder auf die Tagesordnung der internationalen Politik gekommen. In den USA zog nach zwölf Jahren republikanischer Präsidentschaft wieder ein Demokrat ins Weiße Haus ein: Bill Clinton. An seiner Seite ein Advokat globaler Umweltpolitik: Al Gore.
In Deutschland kam das Ministerium 1998 wieder in sozialdemokratische Hand. Heidemarie Wieczorek-Zeul gestaltete Entwicklungspolitik so lange wie keiner ihrer Vorgänger: elf Jahre. Das ist nicht unwichtig auf einem Politikfeld, das langen Atem fast dringender benötigt als Geld und öffentliche Zustimmung.
"Fenster der Möglichkeit"
Heidemarie Wieczorek-Zeul klang denn auch in der von Petra Pinzler unter dem Dach der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin klug moderierten Diskussion fröhlicher als ihre Amtsvorgänger. Sie
ist sich sicher: "Man kann was bewirken." Ja, "ich war erstaunt, wie schnell man was schaffen kann." Vor allem, wenn sich Entwicklungsminister aus mehreren Ländern zusammentun, wenn Europa mit
einer Stimme spricht und wenn sich ein "Fenster der Möglichkeit" öffnet.
So wie das im Vorfeld des G 7-Treffens in Köln geschehen sei. Dort wurde ein Schuldenerlass für arme Länder in Höhe von 125 Mrd. US-Dollar vereinbart. Oder wie bei der Verabredung auf die so genannten Milleniumsziele. Wieczorek-Zeul: "Das finde ich wunderbar."
Leider sei unter schwarzgelber Ägide jetzt wieder die "Projektitis" in die Entwicklungspolitik eingezogen - was die frühere niederländische Ministerin und Initiatorin der Milleniumskampagne, Eveline Herfkens, drastisch so formuliert: "Die nationalstaatlichen Weihnachtsmänner tauchen wieder auf und küssen arme Babys."
Wo man doch eigentlich inzwischen längst erkannt habe, dass Entwicklungspolitik auf die Schaffung globaler Strukturen zielen müsse. Und auf den Aufbau, in Erhard Epplers Worten, "funktionierender Zivilgesellschaften und funktionierender Staaten." Das habe er allerdings selber in den 1970er Jahren noch nicht so gesehen.
Leidenschaft für die Sache
Entwicklungspolitik wirkt, selbst wenn sie nicht immer zu den erwünschten oder erhofften Resultaten führt, offenbar bewusstseinserweiternd auf Politiker, jedenfalls "wenn sie in der Sache
Leidenschaft haben", so Wieczorek-Zeul.
"Ich habe jeden Tag etwas gelernt," bekennt Rainer Offergeld - auch wenn ihm das Gelernte in der Kommunalpolitik, die er im Anschluss an seine Ministerjahre betrieb, nicht viel geholfen habe.
Erhard Eppler erzählt, er sei erst durch Reisen in die so genannte Dritte Welt zum Ökologen geworden. In der Sahelzone sei ihm aufgegangen, "dass wir Menschen Verantwortung auch für unsere Umwelt tragen."
Dort sah er auf verdorrten Böden massenhaft Rindergerippe herumliegen. Mit Entwicklungshilfegeld seien zuvor Brunnen gebohrt worden. Als dadurch mehr Wasser verfügbar war, hielten sich die Bauern mehr Rinder. Die fraßen, als die nächste Trockenheit kam, alles Grün weg. Die Rinder verdursteten, Menschen verhungerten. Eppler: "Ich habe in meinem ganzen Leben nie so viel gelernt wie dort."
Gelernt habe er leider auch: "Es dauert immer sehr lange, bis etwas, das angefangen hat, sich wirklich durchsetzt." Wie das ökologische Denken.
Rückkehr zu solidarischer und wertegrundierter Politik
Eveline Herfkens bewundert die Deutschen dafür, "wie grün Ihr seid!" Was nicht parteipolitisch gemeint ist. Ganz nebenbei wurde auf dieser Tagung deutlich, wo und wie und durch wen das
ökologische Denken in die Politik, auch in die Entwicklungspolitik hierzulande Einzug gehalten hat: unter, mit und durch Sozialdemokraten.
Beim Blick voraus hielten sich auf dem Podium Furcht und Hoffnung die Waage. Furcht, dass der amtierende Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, der FDP-Politiker Dirk Niebel, "alles einreißt, was wir aufgebaut haben", so Sascha Raabe, der entwicklungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Niebel ordne die Arbeit des BMZ wieder rein außenwirtschaftlichen Interessen unter, mit dem Ergebnis: "Deutschland ist kein zuverlässiger Partner mehr." Mühsam erworbenes Vertrauen werde zerstört.
Noch größere Sorgen formulierten Egon Bahr und Heidemarie Wieczorek-Zeul im Blick auf Anzeichen einer Re-Nationalisierung der europäischen Politik, von Italien bis Dänemark. Wieczorek -Zeul: "Habermas hat Recht. Wir brauchen die Vereinigten Staaten von Europa - sonst besteht die Gefahr, dass Europa zerfällt."
Doch wer in EU-Europa spricht diese Gefahr an und geht mutig gegen sie vor? Bahr nüchtern und skeptisch: "Europa hat keine Führung."
Dabei klinge die "fast 30jährige Vorherrschaft marktradikalen Denkens gerade ab", sagt Wieczorek-Zeul. Ein Fenster der Möglichkeit tue sich auf - die Chance einer Rückkehr zu solidarischer und wertegrundierter Politik.
Vielleicht, zeigte sich Erhard Eppler als nimmermüder, wenn auch vorsichtiger Optimist, gebe es ja in Deutschland bald einen Regierungswechsel, von schwarz-gelb "zu einer rot-grünen Alternative, die mit dem marktradikalen Denken auch de facto Schluss macht." Vielleicht kehrt dann der frohe Geist der frühen Siebziger zurück.