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Was gegen Armut wirklich hilft

Der Wirtschaft in Deutschland geht es gut, doch nur wenige profitieren davon. Was das für die Gesellschaft bedeutet und wie es geändert werden kann, untersucht der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Einige Befunde hat Sozialministerin Andrea Nahles nun vorgestellt.
von Kai Doering · 8. März 2017
Armut und Reichtum werden häufig vererbt. Das ist einer der Befunde des Armuts- und Reichtsumsberichts der Bundesregierung.
Armut und Reichtum werden häufig vererbt. Das ist einer der Befunde des Armuts- und Reichtsumsberichts der Bundesregierung.

Die Situation scheint paradox. Seit Jahren wächst die Wirtschaft in Deutschland und die Zahl der Arbeitslosen nimmt ab. Gleichzeitig blickt ein Großteil der Menschen pessimistisch in die Zukunft. Viele haben Angst vor sozialem Abstieg und Armut im Alter.

„Warum empfinden viele Menschen ihre persönliche Lage nicht so gut wie es die Zahlen eigentlich aussagen?“ Diese Frage hat sich Bundessozialministerin Andrea Nahles gleich zu Anfang ihrer Amtszeit gestellt. Am Dienstagabend wiederholt Nahles sie – gleichsam rhetorisch – bei einer Veranstaltung der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion.

Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Deutschland

Hinter Nahles und ihrem Ministerium liegen viele Monate intensiver Arbeit und zahlreicher Diskussionen. Seit 2001 legt das Bundesarbeits- und -sozialministerium einmal in der Legislatur eine Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Deutschland vor: den Armuts- und Reichtumsbericht. „Ziel des Berichts ist in letzter Konsequenz die Entwicklung von grundlegenden politischen Handlungsoptionen zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut und Ungleichheit“, heißt es in der Beschreibung des Ministeriums. Der Bericht hat bereits für reichlich Diskussionen gesorgt, obwohl er eigentlich noch gar nicht vorliegt.

„Die Lohnspreizung in Deutschland hat sich verfestigt“, lautet einer der Befunde, die Andrea Nahles am Dienstagabend vorstellt. So seien zwar die Löhne insgesamt in den vergangenen Jahren gestiegen, doch nur die besser Qualifizierten hätten davon profitiert. Bei den unteren Einkommen gebe es gar ein Minus. Und: Bei der Entlohnung von Dienstleistungen liegt Deutschland 20 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt. Nahles bringt es auf die Formel: „Der Grundsatz ‚Streng dich an, dann geht es auch vorwärts’, gilt nicht mehr.“

Eine „neue Oligarchie der Reichen“

Und wie sieht es auf der anderen Seite aus? Die Situation der Reichen zu untersuchen sei schon methodisch schwierig gewesen, sagt die Ministerin, denn während „jeder Cent für Hartz-IV-Empfänger durchleuchtet“ werde, gebe es so gut wie keine Daten über den Reichtum der Deutschen. Immerhin rund 150 Reiche konnten die vom Ministerium beauftragten Wissenschaftler aber befragen. Ein Ergebnis: „Reichtum wird vor allem vererbt und entfernt sich immer weiter von der individuellen Leistung.“ Andrea Nahles spricht am Montagabend von einer „neuen Oligarchie der Reichen“.

Dabei gehe es ihr „nicht darum, Reiche anzuprangern“. Sie wolle vielmehr die, die viel besitzen – als reich gelten nach Definition des Ministeriums diejenigen, die über mindestens eine Million Euro Vermögen frei verfügen können – in die Debatte einbinden. „Ansonsten ist der Kitt der Gesellschaft nicht mehr gewährleistet.“ Auch interessiert Nahles, wie sich Armut und Reichtum auf politische Teilhabe und Einflussnahme auswirken.

„Einmal arm, immer arm“

„Ärmere wenden sich von demokratischer Teilhabe ab“, hat Joß Steinke beobachtet. Er leitet den Bereich Jugend und Wohlfahrtspflege beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). „Wer in der Gesellschaft unten ist, hat es zunehmend schwerer, wieder nach oben zu kommen“, sagt Steinke am Montagabend. Der Trend „Einmal arm, immer arm“, nehme zu.

Den Entwurf des Armuts- und Reichtumsbericht findet Steinke „gelungen und umfassend“. Die zentralen Befunde teilt er. Was aber muss aus der Bestandsaufnahme folgen? Steinke empfiehlt den „quantitativen und qualitativen Ausbau der sozialen Infrastruktur“. Es gebe nicht nur vom DRK zahlreiche Einrichtungen zur Beratung, Betreuung, Pflege und Therapie, die arme Menschen unterstützen könnten.

Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor als Lösung?

Aus Steinkes Sicht sind hierbei Kitas „der Dreh- und Angelpunkt“. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen organisiere „Aufstiegsmobilität“. Im Klartext: Einrichtungen der Wohlfahrtspflege könnten am besten ausgleichen, was im Elternhaus nicht geleistet werden kann. Kinder aus armen Haushalten müssten nicht arm bleiben. Dafür allerdings brauche es, so Steinke, eine Beschäftigungspolitik für soziale Berufe.

Da liegt der DRK-Mann auf einer Linie mit Sozialministerin Nahles. Um Armut zu bekämpfen, würde sie gern einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor schaffen, um Arbeitslosen einen Wiedereinstieg zu erleichtern. Allerdings habe dieser „ein schlechtes Image“ und stoße auf „ideologische Barrieren“ vor allem bei CDU und CSU. Nach Nahles’ Berechnung werde so 300.000 bis 400.000 Menschen „der Weg in vernünftige Arbeit versperrt“. Sie appelliert deshalb an die SPD, „den sozialen Arbeitsmarkt zu einem Top-Thema zu machen“.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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