Warum sich die SPD für die Verantwortungsgemeinschaft stark machen sollte
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Was ist „Familie“? Die Antwort auf diese Frage ist heute nicht mehr so eindeutig, wie sie es zu Beginn der Bundesrepublik war, als die Mütter und Väter unseres Grundgesetztes die Begriffe „Ehe und Familie“ in einem Atemzug nannten. Heute würden die meisten Deutschen vermutlich zuerst antworten „Familie ist dort, wo Kinder leben“, oder, weil auch das nur auf die Hälfte aller Paarbeziehungen zutrifft: „Familie ist dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“.
Nur eine Heirat verspricht bisher Sicherheit
Das deutsche Familienrecht aber trifft bis heute eine scharfe Abgrenzung zwischen denjenigen, die verheiratet sind – und allen anderen. Wer verheiratet ist, ist im Krankheits-, Krisen- und Todesfall des Partners abgesichert. Alle anderen aber, die auf den Trauschein verzichten, werden vom Staat und vor Gericht in vielen Fällen wie zwei Fremde betrachtet, wenn die Beziehung mal in eine Krise gerät.
Dabei gibt es ganz legitime Gründe, nicht zu heiraten: Viele wollen das Signal nicht senden, das die Gesellschaft mit einer Heirat verbindet. Andere wollen die Rechte und Pflichten nicht eingehen, die die Ehe (vermeintlich) mit sich bringt. Wieder andere verbinden mit der Ehe eher die Streitereien ihrer Eltern als die positive Aussicht auf ein gemeinsames Leben.
Die Verantwortungsgemeinschaft schafft Rechtssicherheit
Am Ende haben aber auch viele dieser Paare ein Interesse daran, ihre gegenseitige Unterstützung auf rechtlich sichere Füße zu stellen. Denn auch sie möchten für den Krisenfall vorsorgen, regeln, wer erbt, wer Unterhalt zahlt, wer Entscheidungen treffen darf. Natürlich kann man das auch alles mit privatrechtlichen Verträgen regeln – aber die wenigsten Paare machen sich in jungen Jahren diese Mühe.
Deshalb sollte der Staat sie unterstützen, indem er eine „Verantwortungsgemeinschaft“ einführt: Ein neuer Standardvertrag, dessen Rechte und Pflichten ähnlich wie beim „Pacte Civil“ in Frankreich zwischen denen der Ehe und einer ungeregelten Partnerschaft angesiedelt ist. Die Verantwortungsgemeinschaft dokumentiert die Verantwortung zweier Menschen rechtssicher, registriert die Partnerschaft und weist den Beteiligten ein Mindestmaß an Rechten und Pflichten zu. Gleichzeitig lässt sie sich leichter wieder lösen als die klassische Ehe.
Mit einer Verantwortungsgemeinschaft könnte die SPD aber sogar noch einen Schritt weiter gehen. Sie könnte die Aussage: „Familie ist dort, wo zwei Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“ mit Leben füllen.
Den Familienbegriff weiter denken
Denn während die Zahl der Single-Haushalte in Deutschland stetig steigt und die Zahl der Ehen kontinuierlich zurückgeht, gibt es immer mehr Menschen, die außerhalb einer klassischen Liebesbeziehung eine Verantwortunsbeziehung eingehen: Ob zwei ältere Frauen oder Männer, die sich in einer Senioren-WG zusammentun oder zwei Alleinerziehende, die sich gegenseitig unterstützen: Auch hier ist Familie. Auch ihnen sollte die Verantwortungsgemeinschaft offenstehen, unabhängig davon, ob sie sich lieben.
Leider ist die politische Debatte noch weit entfernt von einer solchen Modernisierung des Familienrechts. In konservativen Kreisen würde die Verantwortungsgemeinschaft als ein Angriff auf die Ehe gewertet werden – schließlich genieße diese einen grundgesetzlichen Schutz. Dazu muss klar sein: Dieser Schutz der Ehe sollte auch in Zukunft bestehen bleiben – aber er sollte nicht dazu führen, dass der Staat alle anderen Formen der Partnerschaft und der Gemeinschaft einfach ignoriert.
Das Familienrecht und die Lebenswirklichkeit
Aber auch in der SPD sieht es bisher nicht viel besser aus: Das Impulspapier des SPD-Parteivorstands für das Programm zur Bundestagswahl 2017 spricht im Kapitel „Familienrecht“ allein davon, dass dieses „die Lebenswirklichkeit der Menschen in Deutschland abbilden sollte“. Aber wie das geschehen kann, dazu schweigt es.
Gleichzeitig führen die progressiven Parteien unter dem Slogan „Ehe für alle“ seit Jahren den Kampf um die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare. Selbstverständlich ist das ein überfällige Schritt. Aber eben dieser Kampf hat auch jahrelang dafür gesorgt, dass das Familienrecht an anderen Stellen nicht weiterentwickelt wurde. Es hätte unglaubwürdig gewirkt, auf der einen Seite für die Öffnung der Ehe und auf der anderen Seite für eine abgespeckte Variante der Ehe einzutreten.
Sicherheit für Frauen und Männer, die nicht heiraten wollen
Und noch aus einer anderen Richtung wird Widerstand kommen: Denn in einer Verantwortungsgemeinschaft wird die Person, die in der Familie die Sorgearbeit übernimmt, vermutlich weniger geschützt sein als in der Ehe: Wer nur abgespeckte Rechte und Pflichten wählt, bekommt auch nur abgespeckten Schutz. Wer also insbesondere die Frauen schützen möchte, die für die Erziehung oder die Pflege zurücktreten, der müsste sie unbedingt zur Ehe überreden, statt zu einer abgespeckten Variante – zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine kürzlich veröffentliche, rechtsvergleichende Studie.
Trotz dieses gewichtigen Argumentes aber bleibt die Frage offen: Was passiert mit all den Frauen und Männern, die die Ehe nicht für sich wollen? Auch sie wollen und sollten sich gegenseitig absichern – aber eben in einer Form, die sie sich wünschen. Nur 70 Prozent der Partner in Familien mit Kindern sind in Deutschland verheiratet – alle anderen sind Lebensgemeinschaften oder Alleinerziehende. Im Osten Deutschlands hat nur gut jeder zweite Elternteil einen Trauschein. Wer aber nicht verheiratet ist, wird in Deutschland weniger gefördert und ist schlechter abgesichert – und merkt das häufig erst in den Krisenfällen.
Die SPD täte gut daran, sich für diese Menschen einzusetzen – und die Verantwortungsgemeinschaft als ihr Ziel in ihr Wahlprogramm 2017 zu schreiben. Denn Familie ist dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen.