Inland

Warum Europa eine gemeinsame Wirtschaftsregierung braucht

von Romy Hoffmann · 27. Februar 2012

Ob unorganisierte Steuerpolitik oder überhöhte Zinssätze bei der Schuldenrückzahlung – wie die Probleme der gegenwärtigen Eurokrise gelöst werden können, darüber diskutierten am 22. Februar politische Vertreter aus dem In- und Ausland.

„Im Moment erleben wir eine Wirtschaftsdiktatur auf Zeit“, so bezeichnet Reinhard Bütikofer das Krisenmanagement von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Bütikofer ist stellvertretender Vorsitzender der „Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament“ und Teilnehmer an der Podiumsdiskussion „Europäischer Aschermittwoch: Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung für die EU – Weshalb, wann wie?“, die am 22.Februar in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen beim Bund stattfand.

Die EU braucht eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, darüber sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Wie aber muss diese aussehen? Das momentane Krisenmanagement solle jedenfalls keine feste europäische Institution werden, stellt Bütikofer klar. „Ökonomische Souveränität darf nicht nach Brüssel abgegeben werden!“ Vielmehr stehe eine engere wirtschaftliche Kooperation zwischen den Parlamenten und den Regierungen der Mitgliedsstaaten im Mittelpunkt.

Ursachen der Krise müssen überwunden werden

Die portugiesische Beraterin der EU Kommission Prof. Maria Joao Rodriguez ist überzeugt, dass eine europäische Wirtschaftsregierung nur dann funktionieren könne, wenn ihr Ziel in der dauerhaften Beseitigung der Ursachen unserer momentanen Krise liege. Deswegen müsse sich die Wirtschaftsregierung um die Einhaltung des Maastricht-Vertrages und vor allem um die unabkömmliche Haushaltsstabilität in jedem einzelnen EU-Staat kümmern, fordert der estländische Parlamentarier und Mitglied der Staatsversammlung „Reformierakkord“, Klaas Urmas.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien in Nordrhein-Westfallen (SPD), ergänzt, dass neben der Finanzdisziplin staatliche Investitionsprogramme dringend erforderlich seien, damit die Wirtschaft wieder in Schwung komme. Hierbei spielten auch private Investitionen eine wichtige Rolle, verlangt Bütikofer und fügt hinzu, dass es beispielsweise wichtig wäre in erneuerbare Energien zu investieren.

Außerdem ist die Finanzmarktkoordinierung von enormer Bedeutung. Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung müsse endlich eine europaweite Finanztransaktionssteuer verordnen, fordert Bütikofer weiter. Auch Prof. Rodriguez ist sich sicher, dass die staatlich organisierte Überwachung der Banken unvermeidbar sein wird. Bütikofer wünscht sich zusätzlich europaweite Vermögensabgaben.

So vielfältig die Aufgaben einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftsregierung sind, verwirklicht werden können sie nur dann, wenn sich die Bürokratie weiterentwickelt, stellt Urmas fest. „Wir brauchen eine Digitalisierung der Bürokratie“. Es müsse ermöglicht werden, dass Unterlagen per Internet von EU-Staat zu EU-Staat ausgetauscht werden. Die Größe des Territoriums mache dies erforderlich, berichtet der estländische Parlamentarier weiter.

Nationale Parlamente an europäischen Entscheidungen beteiligen

Welche Rolle spielen die nationalen Parlamente bei einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftsregierung? Schnelle Entscheidungen seien momentan wichtiger als parlamentarische Diskussionen, beobachtet Urmas. Damit erklärten sich die Bürger aber nicht einverstanden, wie er weiter feststellt, denn „parlamentarische Debatten sind ein Wesenskern der Demokratie.“ Dr. Schwall-Düren erklärt, hier bestehe die Gefahr demokratische Legitimität von politischen Entscheidungen zu verlieren. Deswegen sei es notwendig, dass regionale, nationale und das europäische Parlament bei europäischen Fragen stärker zusammenarbeiten.

Wie diese Zusammenarbeit aussehen soll, darauf haben die Politiker keine Antwort. Prof. Rodriguez weist aber darauf hin, dass wir mit dem Wirtschaftsprogramm „Europa 2020“, das auf nachhaltiges Wachstum und bessere Koordinierung der nationalen und europäischen Wirtschaft abzielt, eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung verwirklichen könnten. Auch wenn die Wirtschaftsregierung nicht von heute auf morgen realisierbar ist müssen wir die Krise als eine Chance betrachten. Europa muss ein Lebensraum werden, der grüner, sozialer und vor allem wirtschaftlich stark ist.

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Romy Hoffmann

Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.

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