Inland

"Warum der Westen vom Osten lernen kann"

von Die Redaktion · 27. September 2006
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Sachsens Landesvater Georg Milbradt ist ein "Wessi". Der gelernte Ökonom aus Westfalen wurde nach der Wende vom damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) als Finanzminister ins Kabinett berufen. Es habe ihn gereizt, am Umbau eines Transformationsstaates mitzuwirken, erklärt Milbradt. Und mit seiner Tätigkeit in Sachsen habe er nach und nach den Westen mit anderen Augen gesehen. "Erst nachdem ich dem Westen den Rücken gekehrt hatte, habe ich gemerkt, wie wenig dynamisch die westdeutsche Wirtschaft war", sagt Milbradt, der seit vier Jahren Ministerpräsident von Sachsen ist.



Georg Milbradt: "Totaler Neuanfang machte vieles möglich"


Diese Auffassung teilt auch Hans Deppe. Der Geschäftsführer von AMD Dresden erzählt, dass die sächsischen Mitarbeiter in puncto Flexibilität ein Vorbild für den Westen sein könnten. Dies sei sicherlich ein Grund, warum der Freistaat als eins der dynamischsten Bundesländer gelte.

Auch die Wirtschaft Sachsens steht heute besser da als die der anderen östlichen Länder. Für Milbradt ein Zeichen, dass am Anfang die richtigen Weichen gestellt wurden: "Bei der Wirtschaftsförderung haben wir die Fördermittel nicht mit der Gießkanne ausgeschüttet, sondern gezielt und dort gefördert, wo schon etwas vorhanden war." Man habe an die Tradition im Bereich Maschinenbau und der Mikroelektronik angeknüpft und könne mittlerweile viele Erfolge vorweisen. Eine große Hilfe sei gewesen, dass es einen totalen Neuanfang gegeben habe. Milbradt: "Im Westen haben wir das Problem, dass viele Pfade vor Jahrzehnten eingeschlagen wurden." Diese könne man nur unter größten Anstrengungen verlassen. "Das westdeutsche System ist ein Schönwettersystem, das nicht richtig oder nicht schnell genug auf Veränderungen reagiert", so der sächsische Regierungschef.



Bärbel Dieckmann: "Wir mussten uns anstrengen, um nicht unterzugehen"


Von großen Veränderungen weiß auch die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann zu berichten. Sie steht für ein anderes Erfolgsmodell. Nachdem der Bundestag den Regierungsumzug vom Rhein an die Spree beschlossen hatte, fielen in der früheren West-Hauptstadt 21 000 Arbeitsplätze weg. Dennoch ist Bonn heute eine wachsende Stadt mit einer prosperierenden Wirtschaft. Dieckmann erklärt: "Nach der Entscheidung des Bundestages war uns allen klar: Wenn wir uns jetzt nicht anstrengen, werden wir untergehen." Und die drastische Veränderung, der Schock, habe mutige Entscheidungen ermöglicht. Wirtschaft, Politik und Öffentliche Hand hätten dabei an einem Strang gezogen. Insofern sei Bonn mit den neuen Ländern durchaus vergleichbar. Allerdings weist Bärbel Dieckmann auch auf deutliche Unterschiede hin: "Bonn war und ist in eine starke Wirtschaftsregion, den Großraum Köln und Rhein-Sieg, eingebettet."

Genauso wie die neuen Bundesländer hat Bonn hohe Förderungen erhalten. Diese sind jedoch nie als Wirtschaftsförderung an Unternehmen weitergegeben worden. Vielmehr habe man dort die Mittel in den Ausbau der Infrastruktur investiert, um so den Wirtschaftsstandort attraktiver zu machen. Dieckmann ist sich sicher, dass auf das richtige Pferd gesetzt wurde. Trotz der großen Veränderungen sei es gelungen, die Bundesstadt Bonn auch nach dem Fortzug der Regierung auf einem erfolgreichen Kurs zu halten, so die Oberbürgermeisterin.

Dieckmann und Milbradt: "Zukunft nicht als Bedrohung sehen"

Veränderung ist für Georg Milbradt ein wichtiges Stichwort. "Wenn wir weiter an der Spitze der Technologie stehen wollen, müssen wir uns noch mehr und noch schneller verändern", sagt der sächsische Ministerpräsident. Man stehe derzeit noch am Anfang. Diese Ansicht teilt auch Bärbel Dieckmann. "Der demografische Wandel und die voranschreitende Globalisierung sind Herausforderungen, auf die wir die richtigen Antworten finden müssen." Man müsse sich bewegen, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Sowohl Dieckmann als auch Milbradt unterstreichen, dass man die Zukunft nicht als Bedrohung sehen dürfe. "Sie birgt große Chancen", erklärt der Ministerpräsident. Veränderung als Chance sehen und diese beim Schopf packen - das also kann der Westen vom Osten lernen.

"Gibt es denn auch etwas, was der Westen auf gar keinen Fall vom Osten lernen sollte?", fragt Moderatorin Alexandra Gerlach in die Runde. "NPD wählen", antwortet Bärbel Dieckmann, die auch stellvertretende SPD-Vorsitzende ist, spontan.

Jürgen Dierkes

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