Inland

Warum das bedingungslose Grundeinkommen keineswegs gescheitert ist

Finnland beendet sein Pilotprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen. Doch seine Gegner sollten nicht zu früh jubeln. Die Abkehr vom Bismarck’schen Sozialstaat bleibt unverzichtbar, sagt der Wirtschaftsforscher Thomas Straubhaar.
von Paul Starzmann · 27. April 2018
Einkommen, Vermögen, Erbschaften: Der DGB will Reichtum stärker besteuern.
Einkommen, Vermögen, Erbschaften: Der DGB will Reichtum stärker besteuern.

Herr Professor Straubhaar, warum wollen die Finnen ihr Experiment mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) im kommenden Jahr beenden?

Es war immer nur als zweijähriges Pilotprojekt von Anfang 2017 bis Ende 2018 gedacht. Nun sollen die Ergebnisse erstmal wissenschaftlich ausgewertet werden. Danach wird die finnische Regierung entscheiden, ob und wie es weitergehen soll. Deshalb ist die gelegentlich hämische und manchmal schadenfrohe Bewertung über ein Ende des Grundeinkommens verfrüht.

Ist damit die Idee des BGE insgesamt gescheitert?

Nein, vielleicht wird das Experiment in Finnland beendet. Aber das Grundproblem bleibt. Nämlich, dass Arbeitslose, die wieder einen Job annehmen mit ihrem erarbeiteten Einkommen kaum mehr Geld verfügbar haben als vorher mit den Sozialleistungen. Das ist ein Missstand, der schleunigst zu korrigieren ist – so oder so!

Wie könnte ein BGE in Deutschland aussehen?

Monatlich 1.000 Euro an alle – vom Säugling bis zum Greis als Ersatz für die heutigen Sozialleistungen, finanziert über eine Wertschöpfungsabgabe von 50%, die an der Quelle erhoben wird, also dort und dann, wenn Geld an Menschen ausbezahlt wird.

Wie realistisch ist es, dass in Deutschland das BGE eingeführt wird?

Kurzfristig sind die Chancen für einen radikalen Systemwechsel gering. Langfristig ist eine Abkehr vom heutigen Sozialversicherungsmodell unverzichtbar. Wenn Roboter dem Menschen monotone, gesundheitsschädigende Tätigkeiten abnehmen und künstliche Intelligenz dem Menschen beim Denken weiterhilft, sollte man die historische Chance nutzen, „Arbeit“ neu zu denken und den Bismarck’schen Sozialstaat der Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts anzupassen.

Es gibt Befürchtungen, das BGE könnte zu neuer Ungerechtigkeit führen, wenn alle Menschen unabhängig vom Bedarf gleich viel Geld bekommen. Wie sehen Sie das?

Da müsste man zuerst klären, welchen Gerechtigkeitsbegriff man bei diesen Befürchtungen vor Augen hat. Geht es um Bedarfsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, Teilhabegerechtigkeit oder Leistungsgerechtigkeit? Das Grundeinkommen sorgt für bessere Chancen. Und es spricht doch gar nichts dagegen, wenn die Anhänger einer Bedarfsgerechtigkeit das Grundmodell eines BGE um Bedarfskomponenten erweitern. Wenn sie damit den Nerv der Gesellschaft treffen und demokratische Mehrheiten gewinnen, ist das möglich. Wem es nicht um Ideologie, sondern pragmatische zukunftsfähige Lösungen geht, kann das Grundeinkommen entsprechend ausgestalten. Wo ein politischer und gesellschaftlicher Wille besteht, wird das Grundeinkommen vernünftige, finanzierbare Wege zum Ziel weisen.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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