„Viele türkische Unternehmer denken, sie könnten nicht ausbilden“
Herr Özkanli, der Fachkräftemangel wird zu einem immer größeren Problem in Deutschland. Spüren die türkisch-deutschen Unternehmen das auch?
Ja, sehr deutlich sogar. Wir brauchen dringend Nachwuchs. Da aber leider auch unter türkischen Unternehmern zu wenig ausgebildet wird, herrscht auch bei uns Fachkräftemangel.
In welchen Branchen fehlen die meisten Leute?
Türken sind in fast allen Bereichen beschäftigt und selbstständig tätig. Es gibt aber Schwerpunkte im Dienstleistungssektor und in der Produktion.
In welcher Art Produktion?
Hier in Berlin vor allem Fleisch, Brot und Dönerproduktion. Dort fehlt Personal. Fachleute, aber ebenso gut ausgebildete Bürokräfte. Das spüre ich doppelt: als Unternehmer und als
Vorsitzender der TDU.
Was könnte gegen den Mangel an Fachkräften getan werden?
Private Unternehmer müssen sich mit öffentlichen Stellen zusammenschließen.
Welche Stellen meinen Sie genau?
Politik, kommunale Behörden, Arbeitsämter.
Und wie sollte die engere Zusammenarbeit aussehen?
Wir Unternehmer müssten deutlich sagen, wen wir brauchen. Aber wir müssten auch besser gefördert werden.
Wie könnte so eine Förderung aussehen?
Zum Beispiel ein finanzielle oder materielle Unterstützung für Ausbildungsbetriebe.
Ausländische Unternehmen bilden immer noch signifikant weniger aus als deutsche. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Das duale System ist vielen türkischen Unternehmern nicht bekannt.
Also ist Aufklärung nötig?
Ja. Die Leute haben Barrieren. Viele türkische Unternehmer befürchten, sie seien nicht genügend qualifiziert, um selbst auszubilden. Sie wissen gar nicht, dass sie das könnten.
In Berlin gibt es Projekte, die in diese Richtung gehen. Wäre aber ihrer Ansicht nach eine regelrechte Offensive nötig, flächendeckend, groß angelegt?
Das wäre sicher hilfreich. Wir als TDU arbeiten auch schon in dieser Richtung. Denn wir haben festgestellt, dass, sofern ausgebildet wird, Jugendliche häufig vorzeitig aussteigen. Das kann
einerseits an den Jugendlichen liegen aber auch an der Firma, am Ausbilder oder Chef.
Und was tun Sie jetzt?
Gemeinsam mit dem
Verein Gangway bieten wir ein Projekt an, dass Azubis und auszubildende
Firmen unterstützt, begleitet und das Ziel hat, Probleme aufzuspüren, zu besprechen und schließlich aus dem Weg zu räumen, so dass die Ausbildung beendet werden kann. Das Projekt richtet sich
speziell an Auszubildende mit Migrationserfahrung.
Was macht die TDU sonst noch?
Wir organisieren Veranstaltungen, etwa Podiumsdiskussionen. Im Frühjahr haben wir unsere erste Messe auf die Beine gestellt, das war ein voller Erfolg. Für unsere Mitglieder sind wir das
Bindeglied zwischen der Türkei und Deutschland, wir stellen Kontakte zur türkischen Wirtschaft her, zu Verbänden, Behörden, Politikern. Außerdem bieten wie Existenzgründungskurse, Schulungen und
geben eine zweisprachige Zeitschrift über türkische Wirtschaft in Berlin heraus.
Das ist eine ganze Menge.
Ja, aber die Schwierigkeit ist die, dass wir keine staatliche Hilfe erhalten. Wir finanzieren uns allein über den Mitgliedsbeitrag. Der ist nicht niedrig und das ist in Zeiten der Krise
auch ein Hemmnis.
Wie hoch ist der Beitrag?
50 Euro im Monat plus 500 Euro Eintrittgebühr einmalig.
In den letzten Jahren wird ein Phänomen deutlich: Immer mehr gut ausgebildete junge Deutsch-Türken gehen zum Arbeiten in die Türkei. Was läuft da schief, warum kann die Bundesrepublik
diese Hochqualifizierten nicht halten?
Das ist wirklich ein großes Problem, zumal die Zahlen nicht gering sind. Nach meinen Informationen rund 30.000 Türken pro Jahr.
Ihnen werden dort viele Möglichkeiten geboten. Und da diese jungen Leute neben ihren fachlichen Qualifikationen in der Regel außer Deutsch und Türkisch auch noch Englisch sprechen, sind sie
sehr begehrt. Eigentlich sollte man sie natürlich hier behalten.
Warum gelingt das nicht?
Ich denke, es hat auch etwas mit Äußerungen von Politikern über Migranten zu tun. Ich will nicht mal über die CDU reden. Wenn ich Thilo Sarrazin nenne, reicht das wohl.
Vorurteile über Migranten führen also auch zu Abwanderung?
Es ist doch so: Meine Landsleute leben seit fast einem halben Jahrhundert hier und stehen immer noch außerhalb der Gesellschaft. Wir haben dieses Image, den sozialen Staat auszusaugen.
Dabei tragen gerade viele Türken sehr viel zur Gesellschaft in Deutschland bei. Wir versuchen zum Beispiel Probleme wie Arbeitslosigkeit selbst zu lösen, riskieren die Selbstständigkeit, schaffen
sogar noch Arbeitsplätze.
Die Selbstständigkeit bei Türken ist vermutlich überdurchschnittlich?
Ja, oft können sich ganze Familie von einem Laden ernähren. Damit wird Last vom Staat genommen. Aber das will niemand sehen. Und bei den Behörden stoßen wir auch häufig auf Widerstand, bis
hin zu Ausländerfeindlichkeit. Und ich denke, das hat auch damit zu tun, dass sich Vorbilder wie Politiker immer noch in die Richtung äußern, wir seien Gäste, die irgendwann das Land zu verlassen
haben.
Wünschen Sie sich mehr Protest gegen solche Vorurteile?
Gegen Rassismus und Volksverhetzung: ja. Die Deutschen müssen auch sehen, dass ihnen das selbst nichts bringt. Sonst sitzen sie irgendwann alleine da.
Das Interview führte Yvonne Holl.
Weitere Informationen:
Türkisch-deutsche Unternehmer-Vereinigung Berlin-Brandenburg