Bis zum Jahr 2020 gehen die Schülerzahlen, auch in Schleswig Holstein, im Durchschnitt um 20 Prozent zurück. Ist unser Bildungssystem darauf vorbereitet?
Durch die stark sinkenden Schülerzahlen sind viele Schulstandorte bedroht. Darauf müssen die Länder rechtzeitig reagieren. Das heißt: Zusammenführung von Schulen und eine inhaltliche
Neuausrichtung, damit die Schülerinnen und Schüler optimal gefördert werden können. Gerade Kinder in ländlichen Regionen wären benachteiligt, wenn sich dort die Auswahl an Bildungsgängen durch
Schulschließungen immer weiter einschränken würde. Die Gemeinschaftsschulen, die bei uns in Schleswig-Holstein gerade im Aufbau sind, ermöglichen den Schülerinnen und Schüler alle Abschlüsse, also
auch das Abitur.
Was bedeutet diese Entwicklung für das dreigliedrige Schulsystem?
Wir erleben, dass sich die Nachteile des dreigliedrigen Schulsystems durch den demografischen Wandel verschärfen. Vor allem die Hauptschulen sind gefährdet, da diese Schulart mittlerweile
gemieden wird. Die Aussichten auf einen Ausbildungsplatz für Hauptschüler sind überall ungünstig, das Lernmilieu in vielen Hauptschulen ist sehr schwierig geworden. Auch deshalb müssen wir
Bildungsgänge in einer Schulart zusammenführen. Dieser Notwendigkeit wird sich auf Dauer kaum ein Bundesland entziehen können.
Sinken mit den Schülerzahlen auch die Ausgaben für die Bildung?
Durch die demographische Entwicklung im nächsten Jahrzehnt könnten theoretisch viele Lehrerstellen eingespart werden. Es wäre aber fahrlässig, dieses Einsparpotenzial vollständig
auszunutzen. Denn wer in Bildung investiert, investiert in die jungen Menschen und damit in die Zukunftsfähigkeit des Landes. Deshalb sollten frei werdende Ressourcen in mehr Unterricht und bessere
individuelle Förderung, in Ganztagsschulen und frühkindliche Bildung gesteckt werden.
Derzeit verlassen 80 000 Schüler jährlich ohne Abschluss die Schule. Können wir uns das bei sinkenden Schülerzahlen noch weiter leisten?
Nein, weder aus volkswirtschaftlicher noch aus gesellschaftlicher Sicht. Die Wirtschaft steuert auf einen Fachkräftemangel zu und wird künftig um qualifizierte Arbeitskräfte ringen müssen.
Fast noch wichtiger ist es allerdings, dass jeder Jugendliche eine berufliche Perspektive und damit auch die Chance auf ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben erhält und das Integration von
Migranten überhaupt gelingen kann. Dafür müssen die Ausbildungs- und Berufsreife verbessert und Übergänge zwischen Schule und Arbeitswelt erleichtert werden.
Dazu gehört, Schülerinnen und Schüler frühzeitig mit Praktika, Stärken- und Schwächenanalysen und Coaching gezielt an die Berufswelt heranzuführen. Hier sehe ich auch ein weites Feld für
gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern ohne Streit um Zuständigkeiten.
Interview: Karsten Wiedemann
Ministerium für Bildung und Frauen
Schleswig-Holstein
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