Der Überschüsse der Sozialkassen aus 2011 betragen 13,8 Milliarden Euro. Auf den ersten Blick ist das eine erfreuliche Entwicklung. Bei genauerer Betrachtung zahlen dafür jedoch vor allem Arbeitnehmer und Arbeitslose einen hohen Preis.
Jetzt ist es amtlich: Das Statistische Bundesamt hat gerade verkündet, dass die Sozialversicherungen 2011 einen Überschuss von 13,8 Milliarden Euro aufweisen. Auf den ersten Blick ist dies eine erfreuliche Entwicklung bei guter Konjunktur und Beschäftigung und einem beachtlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Bei genauerer Analyse ist jedoch festzustellen, dass Millionen Menschen in der Bundesrepublik bitter für die hohen Überschüsse der Sozialversicherung zahlen.
Sei es, dass sie als Arbeitnehmer steigende Steuern und Beiträge leisten müssen oder als Arbeitslose, Kranke und Rentner immer weniger Leistungen aus den Sozialversicherungssystemen erhalten.
„Kalte“ Enteignung der Beitragszahler
Dies soll durch die jetzt vom Bundeskabinett beschlossenen Eckwerte des Bundeshaushaltes für 2012 sowie die Finanzplanung 2013 bis 2016 weiter verschärft werden. Wieder einmal müssen die arbeitslosen Menschen die Hauptlasten der Kürzungen für die Finanzierung der Banken und sonstiger Finanzinstitute leisten. Beängstigend ist, mit welcher Dreistigkeit und „Chuzpe“ diese „kalte“ Enteignung der Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung höchstamtlich verfügt wird.
Bereits in den schwarz-gelben Haushalts- und Finanzplänen von 2010 musste das Sozial- und Arbeitsmarktressorts von Ursula von der Leyen den Löwenanteil der Kürzungen für die Rettung der Europäischen Finanzwirtschaft tragen. Als „gehorsame“ Ministerin rechtfertigte sie dies damit, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auch die höchsten Ausgabenblöcke für Soziales zu vergeben habe.
Von der nicht minder hohen Verantwortung für die Millionen betroffenen Menschen war dabei nicht die Rede: Arbeitslose, Langzeitarbeitslose, Rentner, Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen und Schwerbehinderungen, um nur die größten Gruppen zu nennen. Dafür wurde monatelang um jeden Cent für die Verbesserung der Regelsätze bei Hartz-IV sowie die Kinderleistungen gerungen.
Kinderpakete sind ein Flop
Es ist wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht erneut die unzureichende Existenzgrundlage im Bereich der Hartz-IV-Sätze feststellen wird. Die Kinderpakete, mit der Frau von der Leyen mit emotional aufgeladenen Diskussionen monatelang von der Korrektur der Regelsätze in der Grundsicherung abgelenkt hat, sind in großen Bereichen ein Flop.
Wird diese Aushöhlung der Sozialen Sicherungssysteme nicht angehalten und umgekehrt, bedeutet die Anhäufung von Überschüssen nichts anderes als eine kalte Enteignung der Beitragszahler. Bereits heute haben nur noch etwa ein Drittel aller Arbeitslosen Anspruch auf Arbeitslosenversicherung. Entsprechend fallen immer mehr Menschen in die Armutsfalle von Hartz IV. Das Rentenniveau ist drastisch abgesenkt und als Ersatz die private Riesterrente eingeführt worden, so dass in den nächsten Jahrzehnten millionenfache Altersarmut droht.
Jetzt sollen der Bundesagentur für Arbeit erneut Milliarden aus den Mehrwertsteuereinnahmen gestrichen werden. Dies wird besonders für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose treffen, die damit der Hartz-IV-Falle immer weniger entkommen können. Trotz genereller Verbesserung bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit haben schwer vermittelbare Menschen ohne wirksame arbeitsmarktpolitische Hilfen wenig Chancen auf eine existenzsichernde Beschäftigung.
Arbeitslosengeld I verlängern
Die finanziellen Spielräume für die Arbeitsmarktförderung der schwer vermittelbaren Menschen müssen daher aus- und nicht abgebaut werden. Darüber hinaus muss die Arbeitslosenversicherung wieder ihre Funktion der Absicherung des Einkommensausfalls bei Arbeitslosigkeit erhalten.
Dazu müssen das Arbeitslosengeld I verlängert und erhöht werden. Dies ist keine „Sozialromantik“, sondern ein sozialstaatliches Grundrecht infolge der Zahlung von Beiträgen und wirtschaftliche Notwendigkeit zur Stabilisierung der Einkommen.
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.