U18-Wahl holt Kinder und Jugendliche an die Wahlurnen
Die Mühlenau Grundschule im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf wirkt hell, sauber und freundlich. In dem Gebäude mit den bunt gestrichenen Wänden und den hohen Fenstern findet am Freitag den 15. September nicht nur regulärer Unterricht statt – es wird auch gewählt. Die Schule ist eines von 1600 Wahllokalen, in denen die U18-Wahl stattfindet. Die Grundschulkinder im Alter von sechs bis zwölf dürfen in geheimer Wahl ihre Erst- und Zweitstimme abgeben. Ganz wie die Erwachsenen.
Politische Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche
Das Projekt „U18-Wahl“ gibt es schon seit 1996. Seit dem schlägt das Projekt immer höhere Wellen. Vor der Landtagswahl in NRW im Mai 2017 gaben 35.000 Kinder und Jugendliche ihre Stimme ab. Ziel des Projektes ist die politische Einbindung derjenigen, die noch nicht wahlberechtigt sind. Zudem wird den Jugendlichen die Möglichkeit geboten, Wahlprogramme zu vergleichen und eigene Themenschwerpunkte zu setzen. So kann politisches Interesse geweckt und eine eigene Meinung gebildet werden.
Durch die immer größere Bedeutung der U18-Wahl wirkt das Projekt im besten Falle in beide Richtungen. „Die Kinder und Jugendlichen sind die Wähler von morgen“, sagt Karl Maurer. Er ist Sozialpädagoge und Leiter der Jugendarbeit im Nachbarschaftshaus Wannseebahn, direkt neben der Mühlenau Grundschule. Er hat die U18-Wahl dort organisiert. „Die Politiker schauen auf das Wahlergebnis und merken, dass sie die Wünsche der Kinder mehr beachten müssen.“, sagt er. „Kinder merken, dass ihre Belange und Wünsche ernst genommen werden und etwas bewirken.“ So würden sich junge Menschen mehr mit Politik beschäftigen und brächten gleichzeitig junge Themen in die Politik ein.
Heranführen an das Wahlsystem
In der Mühlenau Grundschule betritt eine dritte Klasse das Wahllokal. Die Aufregung ist groß und der Aufforderung, sich in einer Reihe vor dem Tisch der Wahlhelferinnen aufzustellen, wird nur widerstrebend und unter Gerangel um den ersten Platz nachgekommen. Nacheinander erhält jeder seinen Wahlzettel und einen Stempel auf die Hand, um diejenigen zu kennzeichnen, die schon gewählt haben.
Kritisch beäugen die Achtjährigen ihre Zettel. „Ich will aber Martin Schulz wählen, warum steht der hier nicht drauf?“, fragt ein Mädchen. „Und die Angela Merkel? Ich kenn die Leute nicht, die hier drauf stehen.“ Geduldig erklären die Wahlhelferinnen das System der Erst- und Zweitstimme und dass die Bundeskanzlerkandidaten nicht direkt gewählt werden. Dann treten die Kinder nacheinander in die Wahlkabinen und machen ihre Kreuze.
Das Feedback von den Kindern ist durchweg positiv. Der Andrang ist groß und der Wunsch nach politischer Mitbestimmung vorhanden. „Ich finde, man sollte schon mit 16 wählen dürfen. Oder sogar mit 14“, sagt Richard, 11 Jahre alt und in der sechsten Klasse. Politik kennt er, wie die meisten seiner Mitschüler, vor allem aus den Fernsehnachrichten. Interesse an dieser (ihm noch recht fremden) Welt hat er auf jeden Fall und findet die U18-Wahl deshalb auch „total cool“.
„Man muss den Kindern auch zutrauen, eine eigene Meinung zu haben“
Auch im Vorfeld der Wahl wurden Aktionen und Events durchgeführt, mit denen die U18-Wähler auch lokale Politiker erreichen konnten. Ein Beispiel ist das „Mobile Wohnzimmer“ (MoWo), eine Aktion Karl Maurers und seines Teams. Das MoWo ist ein altes Feuerwehrauto, das im Bezirk Steglitz-Zehlendorf unterwegs ist und in der Jugendarbeit eingesetzt wird. Im Juni tourten die Direktkandidaten für Berlin-Steglitz durch den Kiez und standen Jugendlichen Rede und Antwort zu ihren politischen Positionen.
Zudem ging das Team des Nachbarschaftshauses in die Klassen der Mühlenau Grundschule und leistete politische Aufklärungsarbeit. „Die schwierigen Situationen waren die, in denen wir von den Kindern direkt gefragt wurden, was wir denn wählen“, sagt Maurer. „Wir müssen die ganze Zeit unparteiisch bleiben. Unsere Aufgabe ist Aufklärung, nicht Empfehlung.“
Man erhalte einen viel höheren Zuspruch von Seiten der Kinder, wenn sie ihre Meinungen untereinander austauschen könnten. „Da soll kein Erwachsener mit erhobenem Zeigefinger stehen und sagen: Das wählst du!“, meint Maurer. „Man muss den Kindern einfach mal zutrauen, eine eigene Meinung zu haben.“ Mehr noch: Man müsse den Kindern zeigen, dass ihre Meinung zählt, und dass sie bei allem mitbestimmen dürften, was ihre Lebenswelt betrifft.
war 2017 Praktikantin in der Redaktion des vorwärts. Sie studiert Geschichte und Politikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster.