Aus dem EU-Parlament kommt eine deutliche Mahnung an die Staats- und Regierungschefs: Hannes Swoboda, der ausgeschiedene Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion, fordert im Interview mit vorwärts.de schnelles Handeln des Europäischen Rates, statt weiter Zeit zu verlieren und die Entscheidungen herauszuzögern.
Herr Swoboda, vier Wochen ist die Europawahl nun vorbei und es ist immer noch nicht klar, wer neuer Kommissionspräsident wird. Wie lang kann Europa seinen Bürgern dieses Personalgezerre noch zumuten?
Es ist ein großes Problem, dass der Europäische Rat die Entscheidung um den Kommissionspräsident künstlich herausgezögert hat. Seitdem die Wahlergebnisse ausgezählt sind, herrscht Klarheit: Jean-Claude Juncker ist der Kandidat der größten Fraktion und muss daher als Kommissionspräsident nominiert werden, damit er dann Verhandlungen über ein fraktionsübergreifendes Programm für Beschäftigung und Wachstum in Europa beginnen kann.
Wird sich das Europaparlament am Ende mit seinem Votum für Jean-Claude Juncker durchsetzen können?
Die Chancen stehen gut, dass das demokratische Prinzip - welches das Europäische Parlament von Anfang an vertreten hat - sich durchsetzen wird. Das letzte Wort hat in jedem Fall das Europäische Parlament, denn nur die Abgeordneten wählen den Kommissionspräsidenten.
Welche Rolle wird der Spitzenkandidat der SPE, Martin Schulz, künftig spielen?
Einige Medien tendieren dazu, sich zu sehr auf Personen anstatt auf Inhalte zu fokussieren. Martin Schulz hat als SPE-Spitzenkandidat dem Wahlkampf eine europäische Dimension gegeben, und er wird dazu beitragen, sozialdemokratische Inhalte - denen die Wähler ja ihre Zustimmung gegeben haben - in der europäischen Politik umzusetzen. Wenn Martin Schulz am 1. Juli erneut zum Parlamentspräsidenten gewählt werden wird, dann kann er weiter daran arbeiten, das Europäische Parlament zu einer Institution für die Bürger und Bürgerinnen Europas zu machen.
Gibt es hinter den Kulissen einen Machtkampf zwischen dem EU-Parlament und den nationalen Regierungschefs oder wo sehen Sie die Konfliktlinie?
Das EU-Parlament wartet darauf, dass der Europäische Rat sich bewegt und aufhört, Zeit zu verlieren. Die Parlaments-Position ist seit Monaten die Gleiche: Der Kandidat der größten Fraktion muss nominiert werden, und ein Programm vorstellen, dass die Zustimmung einer breiten Mehrheit finden kann. Bei 27 Millionen Arbeitslosen, einer stagnierenden Wirtschaft in Europa und ohne gemeinsamen Plan, was zum Beispiel die Migration betrifft, kann es sich niemand erlauben, die Bildung einer effizienten EU-Kommission zu verzögern. Es gibt also keine offenen Konflikte, denn die richtigen inhaltlichen Verhandlungen haben noch immer nicht begonnen.
Werden die Personal- auch mit Sachfragen verknüpft? Es gibt die These, Frankreich, Italien und Spanien könnten der Personalie Juncker nur zustimmen, wenn im Gegenzug der Stabilitätspakt aufgeweicht werde und sie mehr Zeit beim Schuldenabbau bekämen.
Es geht nicht darum, Personalien mit Inhalten zu verknüpfen. Es geht darum, dass bei den Europa-Wahlen die EVP massiv Abgeordnete verloren hat, was eine Konsequenz ihrer Sparpolitik ist. Wir Sozialdemokraten sind dagegen stabil geblieben. Was die Wähler hier zum Ausdruck gebracht haben, muss jetzt politisch umgesetzt werden, und dazu gehört, dass der Stabilitätspakt effizienter gestaltet wird, nämlich so, dass er wirklich förderlich für Wachstum und Beschäftigung ist.