Inland

Stammtisch ohne Sahra

von Jonas Jordan · 1. Februar 2012

Eine parteiübergreifende Diskussion über nachhaltiges Wachstum versprach die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Doch die Linkspartei wurde zur Veranstaltung nicht eingeladen. Mit ihr wäre die Diskussion womöglich interessant geworden.

Die INSM sieht sich selbst als parteiübergreifend. Da passt es gut ins Bild, dass sie im Rahmen ihres marktwirtschaftlichen Dialogs unter dem Titel „Welche Politik schafft nachhaltiges Wachstum?“ zu einer parteiübergreifenden Diskussion mit den wirtschaftspolitischen Sprechern aller im Bundestag vertretenen Fraktionen eingeladen hat. Aller Fraktionen? Nein, eine ist im Restaurant Tucher nicht dabei: die wirtschaftspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sahra Wagenknecht. Die Erklärung liefert der Geschäftsführer der INSM, Hubertus Pellengahr, bereits in seiner einleitenden Begrüßung. Man habe nur alle „maßgeblichen wirtschaftspolitischen Experten“ eingeladen.   

Als parteiunabhängiger Experte ist Christoph Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) sowie Mitglied des Sachverständigenbeirats, dabei. Schmidt passt sich jedoch sowohl in seinem Eingangsvortrag als auch seinen Redebeiträgen dem allgemeinen Niveau der Veranstaltung an. Seine Beiträge sind häufig so wirr und voll gestopft mit sinnentleertem Fachvokabular, dass viele der rund 70 größtenteils männlichen Besucher ihre Blicke lieber nach draußen in Richtung des sonnenbestrahlten Brandenburger Tors schweifen lassen.

Eurobonds sind Teufelszeug

Schmidt geißelt vor allem die Idee der Eurobonds, die es „auf keinen Fall“ geben dürfe. Stattdessen hat der Sachverständigenrat einen eigenen Vorschlag ausgearbeitet. Er fordert einen Fonds, in den alle Euro-Staaten ihre Schulden über 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) einbezahlen und, wie bei den Eurobonds, gemeinsam dafür haften sollen. Den Unterschied zum verteufelten Original kennt wohl nur der Rat selbst.

Kerstin Andrae von den Grünen erwehrt sich der skeptischen Blicke aus dem Publikum tapfer und stellt zunächst einmal klar, dass sich ihre Partei dem Wachstumsbegriff prinzipiell nicht verweigert. Man brauche allerdings eine neue Definition von Wachstum, einen nachhaltigen Wachstumsbegriff. Als Beispiel für die Irrationalität des heute gültigen Wachstumsbegriffs führt sie die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko an, die riesige Umweltschäden verursacht, durch den großen Bedarf an Reparaturen – rein rechnerisch – aber auch zu enormem Wachstum geführt habe.

Die Äußerungen des wirtschaftspolitischen Sprechers der FDP-Fraktion, Hermann Otto Solms, sind dagegen symptomatisch für den permanenten Zwist innerhalb der Regierungskoalition sowie für den Niedergang der FDP. Solms stellt die Energiewende im Nachhinein als übereilt dar. Die Schuld dafür sucht er bei Umweltminister Norbert Röttgen. Sein Parteivorsitzender Philipp Rösler habe dagegen „tolle Ideen, die er  nicht umsetzen kann.“

Klientelpolitik als Wachstumsmotor

Solms’ Ansichten gipfeln in der Aussage, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dessen Wortlänge schon rekordverdächtig ist und mit dem sich die FDP gleich zu Beginn der Legislaturperiode bei ihren treuesten Wahlkampfspendern bedankt hatte, sei maßgeblich für das Wirtschaftswachstum in Deutschland gewesen. Kein Wunder, dass die FDP in Umfragen bei zwei Prozent verharrt, wenn sie selbst in ihrem Kernfeld der Wirtschaft nicht mehr zur Diskussion beitragen kann als Klientelpolitik als Wirtschaftswachstum zu verkaufen.

Die SPD will es besser machen. Ihr Vertreter Garrelt Duin plädiert dafür, bei einer Regierungsübernahme zunächst einmal die Zuständigkeit für den Bereich Energie im Wirtschaftsministerium zu verorten. „Ein Grundsatz meiner Politik lautet: Windkraft braucht Stahl.“ Duin sitzt neben Michael Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion. Die beiden wirken wie zwei Brüder im Geiste, die schon heimlich die nächste Große Koalition nach der Bundestagswahl 2013 planen. Fuchs bekräftigt dementsprechend auch, es sei der falsche Ansatz auf alte Industrien wie z.B. die Stahlproduktion gänzlich zu verzichten.

Die grüne Exotin

Einzig Kerstin Andrae müht sich, diesen Positionen etwas entgegenzusetzen und wirbt für eine gleichermaßen umweltfreundliche wie sozial orientierte Wirtschaftspolitik. Allerdings scheint sie von ihren Mitdiskutanten kaum ernst genommen zu werden. In Abwesenheit der „nicht maßgeblichen“ Sahra Wagenknecht ist Andrae die Exotin in der Runde.

Und so gibt es auch keine nennenswerte Gegenwehr, als Michael Fuchs zum Schluss noch einmal zum großen Griechen-Bashing nach Stammtisch-Art ausholt: „Die Griechen sind ja nicht mal in der Lage ihre eigenen Oliven, die sie von den Bäumen holen, selbst zu pressen.“ Der so genannte Wirtschaftsexperte der CDU/CSU-Fraktion offenbart damit, was die Union tatsächlich noch von der Idee einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hält. Stammtischparolen sind letztlich eben doch einfacher als eine dezidierte Problemanalyse und kommen beim kräftig applaudierenden Publikum der INSM obendrein besser an.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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