Inland

Städte fühlen sich überfordert

von Sarah Schönewolf · 19. April 2013

Immer mehr Menschen aus Südosteuropa kommen nach Deutschland. Dadurch stehen die Kommunen vor wachsenden Problemen.

9,90 Euro Kindergeld erhält man in Rumänien monatlich für das erste Kind. Das sind rund 5 Prozent des deutschen Kindergeldbetrages von 184 Euro. Für diejenigen Rumänen, die nichts oder nur sehr wenig haben – viele davon sind Roma– ist dieser Differenzbetrag mit der Hoffnung auf ein besseres Leben verbunden. Und so machen sie sich auf den Weg nach Deutschland. Doch die Heilserwartungen an die neue Heimat sind trügerisch: Denn Vorurteile und Ausbeutung wandern durch die Mitgliedsländer mit.

Derzeit haben Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien ein dreimonatiges Aufenthaltsrecht. Ab dem 1.Januar 2014 soll dann die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für diese gelten. Der Zuzug qualifizierter Fachkräfte aus beiden Ländern ist für die deutsche Wirtschaft notwendig. Gleichzeitig sind die Städte nach Ansicht des deutschen Städtetages mit der Zuwanderung der Armen aber überfordert. Die Kommunen fordern schnelle finanzielle Unterstützung und eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern.

Zuzug von Fachkräften nötig

Mit der geplanten Änderung ab dem 1. Januar 2014 verlieren die bisherigen Einreisebestimmungen, die den drei Monate überschreitenden Aufenthalt an eine selbstständige Tätigkeit knüpfen oder als Saisonarbeit reglementieren, ihre Bedeutung. Dann gilt entsprechend der EU-Beitrittsbestimmungen auch für Rumänen und Bulgaren die freie Arbeitswahl innerhalb der EU. Denn seit 2007 sind die beiden Länder im Südosten Europas Mitglieder der EU. Seitdem sind sie nach Polen, zu den zweit- und drittstärksten Herkunftsländern für Zuwanderer avanciert – mit rund 147.000 Zuzügen im Jahr 2011.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht davon aus, dass sich der Trend der deutlich wachsenden Zuwanderung nach dem Wegfall der Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 2014 weiter fortsetzen wird. Doch während der Zuzug von qualifizierten Fachkräften für die deutsche Wirtschaft notwendig ist, sorgt der scheinbar drohende Ansturm der Armen für Besorgnis.

Sozialer Friede gefährdet

„Die europäische Integration ist auf sozialer Ebene mit komplexen Herausforderungen verbunden“, konstatiert der Deutsche Städtetag. Der Verbund der Städte schlägt mit einem Positionspapier zur Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien Alarm. Nicht weniger als der soziale Frieden, der die Integration aller in die Gesellschaft leistet, sei gefährdet.

Denn unter ähnlich prekären Bedingungen, aufgrund derer die Menschen aus ihren Heimatländern flohen, leben sie meistens auch in Deutschland. Und den Kommunen fehlt es an Geld und Wissen über den kulturellen Hintergrund, um die Menschen auszureichend zu unterstützen.

»Europas drängendste Menschenrechtsfrage«

Besonders Angehörige der Roma haben es schwer. „Sie sind häufig der Sündenbock“, sagt Renate Graffmann. Die Pfarrerin im Ruhestand kümmert sich seit 27 Jahren um Roma-Familien in Köln. Die 75-Jährige ist Mitgründerin des Vereins Rom e.V., der sich der Verständigung von Roma und Nicht-Roma widmet.

Neben der Förderung der Kultur des Romanes leistet der Verein vor allem pädagogische und politische Arbeit. So setzt er sich für das bedingungslose Bleiberecht der häufig nur geduldeten Flüchtlinge des ehemaligen Kosovos ein. Mit der Gefährdung des sozialen Friedens, vor der der Städtetag durch eine erhöhte Zuwanderung warnt, überzeichnet er nach Ansicht Graffmanns. „Das ist Unfug und fördert Vorurteile,“ sagt sie. „Leider ist Armut kein Grund, politisch positiv aufgenommen zu werden“.

Zwischen zehn und zwölf Millionen Roma leben in Europa, womit sie die größte ethnische Minderheit des Kontinent stellen. In Deutschland sind nach Angaben des Deutschen Zentralrates für Sinti und Roma circa 70.000 Menschen dieser heterogenen Volksgruppe zugehörig. Vielfach sind sie massiver Benachteiligung und gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt, weswegen die Europäische Kommission die Benachteiligung der Roma als „Europas drängendste Menschenrechtsfrage“ bezeichnete.

„Zu mir hat noch kein Roma gesagt, dass er wegen der Diskriminierung gehe. Sie gehen vor allem wegen der unbeschreiblichen Armut und wegen der Perspektivlosigkeit. Sie wollen ihren Kindern ein besseres Leben ermöglichen“, sagt Christina Nastase. Die Rumänin ist Sozialarbeiterin und arbeitet seit über zwei Jahren für den Berliner Verein „südost Europa Kultur e.V.“, der sich für Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und für die Integration und Förderung von Roma engagiert. „Deutschland gilt in Rumänien als das Land, in dem es keine Krise gibt oder diese schon vorbei ist“, erzählt Nastase.

Kindergeld gegen Gebühr

Doch „gut zu leben“ ist für Roma-Familien auch in Deutschland schwierig. Hier wird die Unwissenheit der Menschen über das deutsche Sozialsystem und ihre Armut ausgenutzt, weiß Nastase. Mit Vermittlungsgebühren bis zu 2.000 Euro für das Stellen eines Kindergeldantrages, oder die Vermietung von einzelnen Matratzen für 10 Euro pro Nacht werden die Zuwanderer ausgebeutet – und landen dann in der Schuldenfalle.

Es sind viele Probleme, die sich im Gepäck der Zuwanderer befinden. Neben geeignetem Wohnraum mangelt es an Bildung. Hier setzt „südost Europa Kultur e.V.“ an : Der Verein organisiert Sommerschulen, in denen Kinder aus Roma-Familien gezielt auf den deutschen Schulalltag vorbereitet werden. Mit regelmäßigen Hausbesuchen versucht Nastase, als Muttersprachlerin das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und ihre Ängste vor den Behörden und dem Schulsystem abzubauen.

Schwere Versäumnisse der EU

Auch eine regelmäßige ärztliche Versorgung und eine Krankenversicherung sind vielen Roma aus ihren Herkunftsländern fremd. „Das Thema gesundheitliche Versorgung wirft in allen Städten große Probleme auf“, sagt Birgit Zoerner. Die Dortmunder Sozialdezernentin ist Co-Autorin des Positionspapiers des Deutschen Städtetags und arbeitet in der neu eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Armutszuwanderung aus Osteuropa“ mit.

Zoerner wirft der Europäischen Union schwere Versäumnisse bei den Beitritten vor. Diese seien zu einem Zeitpunkt entschieden worden, als in den Ländern ganze Bevölkerungsgruppen systematisch ausgegrenzt wurden. „Die Armutszuwanderung war erwartbar, aber weder die EU noch die Bundesregierung haben sich bislang für ihre Konsequenzen interessiert. Im Moment stehen die Städte mit den Folgen alleine da“.

Kommunalisierung der Probleme

In Dortmund hat sich die Zahl der Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien seit 2006 verfünffacht. Da viele der Einwanderer aus elenden Lebensverhältnissen keinerlei Krankenversicherungsschutz haben, stiegen mit ihrem Zuzug auch die Kosten der Stadt für medizinische Versorgung nicht krankenversicherter Menschen.

Damit der Impfschutz gewährleistet ist, hat die Stadt Dortmund eine Kindersprechstunde eingerichtet, die mit 50.000 Euro finanziert wird. Mehr als 1 Mio. Euro, die nicht refinanziert werden können, kosten die Notfallhilfen in Krankenhäusern zudem. Als kurzfristige Hilfsmaßnahme zur Entlastung der Städte fordert die SPD-Politikerin die Absicherung des Krankenversicherungsschutzes durch einen eigens dafür zu schaffenden Ausgleichsfonds. Auch die anderen Kosten müssen darüber abgedeckt werden.

Hilfe zur Selbsthilfe

„Langfristig muss die Situation in den Heimatländern unbedingt verbessert werden“, verlangt Zoerner. Eine Ansicht, die sowohl die Kölnerin Renate Graffmann als auch der Verein „südost Europa Kultur e.V.“ teilen. Für die Familien vor Ort allerdings sieht Geschäftsführer Michael Kraft eine mögliche Lösung in der nachhaltigen Förderung zur Selbsthilfe.

Für die Sozialarbeiterin Nastase gibt es immer wieder Beispiele, die das Funktionieren dieses Ansatzes bestätigen: „Eine junge Frau, die ich bettelnd mit ihrem kleinen Kind auf dem Alexanderplatz kennengelernt habe, geht jetzt arbeiten, schickt ihr Kind in die Kita und lernt selbst Deutsch. Solche Beispiele motivieren mich, weiterzumachen“.

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Sarah Schönewolf
Sarah Schönewolf

ist Diplom-Politologin und Redakteurin des vorwärts.

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