Inland

Staat fördert konservatives Familienmodell

von Die Redaktion · 22. Juli 2010
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Allein lebend ohne Kinder oder in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft, zu mehreren Generationen in einem Haus oder alleinerziehend - seit einigen Jahrzehnten entfaltet sich in Deutschland wie in anderen Ländern eine bis dahin nie vorstellbare Vielfalt an Lebens- und Familienformen.

Partnerschaften beruhen heute mehr denn je auf Freiwilligkeit und Liebe und enden häufiger als früher, wenn diese Bedingungen nicht mehr erfüllt sind. Rund 1,6 Millionen Alleinerziehende leben zurzeit in Deutschland - Tendenz seit Jahren steigend.

System Vater-Mutter-Kind-Familie noch zeitgemäß?
Mehr als 90 Prozent davon sind Frauen. Die gesellschaftlichen Institutionen wie z. B. das Rechtssystem, das Sozialsystem und die Wirtschaft sind aber in ihren Grundfesten immer noch ausgerichtet auf zwei ehemals ineinander greifende Lebenskonzepte: die Vater-Mutter-Kind-Familie und eine Ehe, in der der Mann Hauptverdiener ist und die Frau für Familie und Haushalt zuständig. Beide Institutionen galten jahrhundertelang in Deutschland als die Keimzelle einer funktionierenden Gesellschaft und werden daher vom deutschen Staat bis heute besonders geschützt und gefördert. Angesichts der wachsenden Zahl von Alleinerziehenden und anderen Lebensformen ist eine vielstimmige Diskussion in der Gesellschaft darüber entstanden, ob dieses System noch zeitgemäß und ökonomisch sinnvoll ist.

Das Forum Politik und Gesellschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich daher als Ziel gesetzt, mit einer Reihe von Veranstaltungen und Expertisen der Frage nachzugehen, was Staat, Wirtschaft und Gesellschaft tun können, um zu einer besseren Passung zwischen Institutionen und Lebensrealitäten von Alleinerziehende gelangen. Die Auftaktkonferenz "Allein erziehend, aber nicht allein gelassen" diskutierte Anforderungen an eine moderne Politik für Ein-Eltern- und andere Familien und ist nun in einer Dokumentation zusammengefasst.

Neben Impulreferaten von Manuela Schwesig, Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern, Edith Schwab, Bundesvorsitzende des Verbands Alleinerziehender Mütter und Väter e. V. (VAMV) und Elisabeth Niejahr, Redakteurin im Hauptstadtbüro der "Zeit", enthält die Dokumentation Ergebnisse der Podiumsdiskussion.

In dieser Diskussion kristallisierte sich heraus, dass Alleinerziehende die Gruppe sind, bei der sich die Probleme zuspitzen, die auch andere moderne Familienformen betreffen, zum Beispiel Paare oder Ehepaare mit Kindern, die eine partnerschaftliche Arbeitsteilung praktizieren.

Jährliche 77 Milliarden Euro für die Förderung der Ehe
Von der aktuellen Familienpolitik profitieren hingegen die Familien mit konservativer Arbeitsteilung, darunter besonders die besser verdienenden. Barbara König vom Zukunftsforum Familie wies darauf hin, dass der Staat jährliche 77 Milliarden Euro für die Förderung der Ehe ausgibt (Ehegattensplitting, beitragsfreie Ehegattenmitversicherung bei der Krankenkasse etc.). Hier wirke sich ein ideologisches Familienleitbild problematisch auf konkrete Politik und die materiellen Verhältnisse vieler Menschen aus.

Was wünschen sich Familien, fragte Dr. Sigrid Bachler vom DGB, und lieferte die Antwort: Die Mütter wollten häufig mehr, die Väter häufig weniger Stunden arbeiten. Die meisten Eltern in Deutschland wünschen sich laut Umfrage eine 30-Stunden-Woche, um mehr Zeit für Familienarbeit (Kinderbetreuung, Pflege von älteren Angehörigen) und ehrenamtliches Engagement zu haben. Angesichts dieser
Vereinbarkeitsbedürfnisse sei eine Neudeinition des Begriffs "Vollzeitarbeit" nötig. Auch sei die Politik gefragt, dafür zu sorgen, dass Familien am unteren Einkommensrand sich auch eine 30-Stunden-Woche leisten können.

Um Alleinerziehenden mehr Teilhabe und einen leichteren Alltag zu ermöglichen, sind nicht nur Politik und Gesellschaft, sondern auch die Unternehmen und die Tarifpartner gefragt: Familienfreundliche Unternehmenskultur, diskriminierungsfreie Entlohnung und eine Bezahlung, die den Lebensunterhalt sichert, waren hier die zentralen Stichworte. Peter Ruhenstroth-Bauer, Vorsitzender des Berliner Beirats für Familienfragen, schilderte ein vorbildliches Beispiel aus der Berliner Praxis: ein Bündnis zwischen Handwerkskammer, Industrie- und Handelskammer und dem DGB Berlin-Brandenburg.

90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, aber wo sind die Väter?
Diese Frage durchzog die Konferenz wie ein roter Faden. Warum ist es in der Realität oftmals nicht möglich, dass sich trotz Trennung Vater und Mutter gemeinsam um die Versorgung der Kinder kümmern? Warum zahlen viele Väter nach einigen Jahren keinen Unterhalt mehr für ihre Kinder? Diesen Fragen gilt es, näher nachzugehen.

Diskutiert wurde darüber, dass die Herausforderung oftmals schon da beginnt, wo Paare Eltern werden. Die Trennungsrate ist in den ersten vier Lebensjahren des Kindes am höchsten. Bereits hier könnte durch Beratungsangebote und eine bessere öffentliche Infrastruktur vermieden werden, dass Familien durch die Überforderungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung unwiederbringlich zerstört werden.
Wenn es doch zu einer Trennung kommt, ist die Frage, wie man dafür sorgen kann, dass Väter ihre Verantwortung weiter wahrnehmen (können). Hier forderte der "Väteraufbruch für Kinder" ein Umdenken: weg von der Einstellung "Väter zahlen, Mütter betreuen", hin zu modernen Rollenbildern, bei denen Väter und Mütter gemeinsam Verantwortung übernehmen. Es geht, so der Vertreter des "Väteraufbruchs", nicht nur um Gleichstellung von Müttern, sondern auch um Gleichstellung von Vätern.





Rückblick auf die Veranstalung: Allein erziehend, aber nicht allein gelassen? Anforderungen an eine moderne Politik für Ein-Eltern-Familien Die Dokumentation als PDF zum Download unter http://library.fes.de/library/html/akt-digbibnew.html Weitere Publikationen zum Thema unter www.fes.de/gender/publikationen.php

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