SPD-Wohnungsbaupolitik - Weil Wohnen kein Luxus werden darf
AXEL HEIMKEN
„Wir ziehen nach Moorrege.“ Als Daniela Biesterfeldt das vor fünf Monaten einer Freundin erzählte, war deren erste Reaktion: „Das ist nicht dein Ernst.“ Wer Moorrege kennt, kann das ein wenig nachvollziehen. Zwei stark befahrene Durchgangsstraßen, kein Bahnanschluss, einige Neubaugebiete und zwei Supermärkte – viel mehr lässt sich über die 4000-Einwohner-Gemeinde in Holstein nahe Hamburg nicht sagen. Doch Daniela und Mike Biesterfeldt konnten mit dem Umzug nicht länger warten. Gerade waren ihre Zwillinge Lilly und Livia zur Welt gekommen und sie wohnten immer noch in einer 55-Quadratmeter-Wohnung in der Nachbarstadt Tornesch.
Keine bezahlbaren Wohnungen in Ballungsgebieten
Eigentlich wollten Daniela und Mike nicht wegziehen. „In Tornesch treffe ich alle zehn Meter jemanden den ich kenne, da wohnen meine Freunde und meine ehemaligen Kunden“, sagt Daniela, die bis zur Geburt ihrer Kinder in der Stadt als Friseurin gearbeitet hat. Die Stadt liegt nah an der Autobahn – gut für Mike, der mit dem Auto nach Hamburg zur Arbeit fährt. Also haben die beiden hier gesucht und sich in den vergangenen vier Jahren mindestens 15 bis 20 Wohnungen angeschaut. Mike ist Lackierer, damals verdienten sie noch beide, eigentlich eine Trumpfkarte bei der Wohnungssuche. Aber 1200 Euro warm für drei Zimmer, das konnten die beiden sich nicht leisten. Hinzu kam Lenni, ein quirliger Jack-Russel-Mix. „Die meisten Vermieter wollen keine Hunde“, sagt Daniela. Und auch keine Kinder, wie sie feststellte, als sie schwanger war.
Vier Wochen nach der Geburt der beiden Mädchen entdeckte Daniela morgens um halb vier im Internet eine Wohnung. Neubau, Erstbezug, 72 Quadratmeter, Mini-Terrasse zur Straße, 850 Euro warm. „Der Knaller.“ Sie mailte sofort ihr Interesse und die Vermieterin gab dem jungen Paar den Vorzug, weil sie die ersten Interessenten waren, die sich gemeldet hatten. Nun träumt Daniela zwar weiter von 80 bis 90 Quadratmetern mit kleinem Garten oder Terrasse in Tornesch. Bis 1000 Euro warm könnten sie bezahlen, sagt sie. Aber das wird schwierig, denn der Hamburger Speckgürtel, zu dem Tornesch und Moorrege gehören, ist teuer geworden. Und nicht nur der.
Preise für Eigentum und Mieten steigen
Knapper Wohnraum und steigende Mieten sind in Deutschlands Ballungsräumen an der Tagesordnung. Zwar liegt die durchschnittliche Miete bundesweit nur bei 6,90 Euro pro Quadratmeter. Gerade in den großen Städten und den Ballungsräumen ist sie aber deutlich gestiegen: in den vergangenen sechs Jahren in Berlin um 26, in München um 14, in Köln um 13 und in Hamburg um zwölf Prozent. Das hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelt. „In den letzten Jahren ist ein regelrechter Nachfrageboom in einigen Ballungszentren entstanden“, sagt IW-Immobilienexperte Ralph Henger. „Durch den starken Zuzug wird der Wohnraum knapper und die Preise für Eigentum und Mieten steigen.“
Deshalb fordert der Direktor des Deutschen Mieterbunds Lukas Siebenkotten: „Wir benötigen mehr Wohnungen in bestimmten Gebieten.“ Neben den Großtstädten gelte das auch für Universitätstädte. Die Einwohner von Greifswald etwa zahlen die höchsten Mieten in ganz Mecklenburg-Vorpommern. Die Stadt, in der jeder fünfte Student ist, ist damit eine der teuersten in Ostdeutschland. Wer wenig verdient, findet nur noch in den Plattenbauvierteln am Stadtrand eine Bleibe. „Jemand, der in einer Stadt wohnen will, sollte auch in dieser Stadt wohnen können und nicht nur an ihrem Rand“, meint Lukas Siebenkotten.
Mehr Sozialwohnungen müssen her
„Auch jemand, der nicht zehn Euro Kaltmiete zahlen kann, muss eine Wohnung finden“, sagt Frank Thyroff. Er ist Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft (wbg) in Nürnberg. Vor fast 100 Jahren wurde sie von der Stadt, der Handwerkskammer und der Bauinnung gegründet. „Wir wollen den Menschen in Nürnberg Räume zum Leben und Wohnen gestalten – ihnen ein Zuhause geben.“ So steht es im Leitbild der wbg. „Wir legen bei der Auswahl unserer Mieter nicht die strenge Messlatte an, die private Vermieter anlegen“, sagt Frank Thyroff. Ein negativer Schufa-Eintrag sei nicht automatisch ein Ausschlussgrund. „Nur anlügen darf man uns nicht.“
Thyroff beobachtet seit Jahren einen „dramatischen Wegfall“ von Sozialwohnungen. Nach dem Auslaufen der staatlichen Förderung stehen diese dem freien Markt zur Verfügung – zu Preisen, die sich schnell dem höheren Mietniveau anpassen. Die Anzahl der Sozialwohnungen in Deutschland hat sich in den vergangenen 14 Jahren nahezu halbiert. „Hier haben Bund und Länder lange geschlafen“, sagt Frank Thyroff. Insgesamt fehlten in Nürnberg fast 30.000 Wohnungen. Die wbg hat deshalb schon 2012 ein umfangreiches Neubauprogramm beschlossen. Ein Drittel der neu entstehenden Wohnungen ist für Einkommensschwache reserviert.
Wohnungspolitik braucht langen Atem
Damit ist die wbg auf einer Linie mit Bundesbauministerin Barbara Hendricks. „Um den Bestand an Sozialwohnungen wieder zu erhöhen, haben wir die Mittel für die Länder in diesem Jahr auf eine Milliarde verdoppelt“, rechnet sie vor. Im Frühjahr hat das Bundeskabinett auf ihr Betreiben hin eine „Wohnungsbau-Offensive“ auf den Weg gebracht. So will der Bund zusätzliches Bauland zur Verfügung stellen, Bauvorschriften vereinfachen und Bauunternehmen mit steuerlichen Anreizen unter die Arme greifen. 400.000 Wohnungen sollen so pro Jahr entstehen. Im vergangenen Jahr waren es gerade mal 250.000.
Doch auch dem Bund sind die Hände oftmals gebunden. Seit der Föderalismusreform 2006 ist der Wohnungsbau Sache der Bundesländer. Das möchte Barbara Hendricks mit einer Änderung des Grundgesetzes korrigieren, „um als Bundesregierung wirksam dort helfen zu können, wo die Wohnungsnot am größten ist“. Es sei wichtig, dass sich alle engagieren: „Bund, Länder, Kommunen, Bauwirtschaft und private Investoren“. Wie schnell sich der Wohnungsmarkt entspannt, hängt auch von der Verwaltung ab. „Von der Baugenehmigung bis zur bezugsfertigen Wohnung dauert es im Idealfall ein Jahr“, sagt Mieterbund-Direktor Siebenkotten. Doch bis die Genehmigung erteilt ist, kann es auch mal länger dauern. „In der Wohnungspolitik ist der lange Atem entscheidend.“
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