SPD-Politiker Kutschaty: Warum Hartz IV keine Zukunft hat
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Die Antwort auf die Frage, ob Hartz IV noch eine Zukunft hat, ist für den SPD-Politiker Thomas Kutschaty klar. Das System sei den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen, ist Nordrhein-Westfalens Fraktionschef überzeugt. „Hartz IV sollte seinen 20. Geburtstag nicht mehr feiern dürfen“, erklärt der Jurist am Dienstag auf einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung zur „Zukunft von Hartz IV“ in Berlin.
Hartz IV hat zu großen Unsicherheiten geführt
Initiiert von zwei Ökonomen, dem Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts Gustav Horn und dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, griff die Veranstaltung Fragen auf, die derzeit auch im Erneuerungsprozess der SPD ein Comeback erleben. Ein eher kritisches Fazit zogen dabei Referenten auf die Frage nach den Wirkungen der Arbeitsmarktreformen. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen nach deren Einführung in 2005 rückläufig waren, lässt sich dieser Erfolg nicht alleine den Reformen zuschreiben, sagt etwa Volkswirtschaftler Martin Scheffel von der Uni Karlsruhe. Klarer hingegen könne man die negativen Nebenwirkungen von Hartz IV benennen. Vor allem die Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt sei gestiegen, so Scheffel.
Niedrige Löhne als Konsequenz
Auch der Dortmunder Ökonom Philip Jung sieht diesen Effekt. Verlierer seien nicht nur Hartz-IV-Empfänger, sondern gut bezahlte Arbeitnehmer. Die abschreckende Wirkung von Hartz IV habe vor allem dazu geführt, niedrigere Löhne zu akzeptieren. Ein Aspekt, der später auch von Annelie Buntenbach, Mitglied im Vorstand des DGB, aufgegriffen wird. Sie betont, dass Hartz IV auch dazu beigetragen habe, aus Angst den Konflikten mit Vorgesetzen aus dem Weg zu gehen. „Wenn der aufrechte Gang im Betrieb zur Mutprobe wird, nimmt die Demokratie Schaden“, warnt sie.
Positive Effekte hin oder her – für SPD-Politiker Kutschaty ist die Agenda 2010 ein Phänomen der Zeitgeschichte, „aber kein Zukunftsprogramm“. Nachbarländer, die mit „Nachahmung liebäugeln“, mahnt er zur Vorsicht. Hartz IV schüre Abstiegsängste, nutze Unsicherheit. Das dürfe aber nicht Instrument einer Arbeitsmarktpolitik sein, unterstreicht er.
Sozialstaatsreform statt Agenda 2010
Um auf das Sicherheitsbedürfnis der Menschen gerade in Zeiten kolossaler Veränderungen einzugehen, brauche es laut Kutschaty eine Sozialstaatsreform, die seiner Meinung nach mehrere Reformbausteine beinhaltet. Dazu zähle die Leistungsgerechtigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, die durch das Stärken der Gewerkschaften und der Tarifbindung „auch durch staatlichen Druck“ unterstützt werden könne. Aber auch ein Mindestlohn um die 12 Euro und das Abschaffen von „Geschäftsmodellen, die mit Lohnsubventionen kalkulieren“, das heißt jeglicher Art von Aufstocken bei Niedriglöhnen.
Als weiteren wichtigen Schritt nennt er die Umwandlung der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung. Zudem müssten die Bezugsdauer bei Leistungsempfängern wieder an Beitragsleistungen gekoppelt, das Schonvermögen deutlich erhöht und der soziale Arbeitsmarkt ausgebaut werden, so Kutschaty. Vor allem jedoch müssten die 1,7 Millionen Kinder, für die offiziell „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ bezahlt werde, endlich eine Kindergrundsicherung erhalten.
Hartz IV muss weg
Für Kutschaty ist klar, dass diese Reformen nicht umsonst zu haben sind. Er plädiert für eine gerechte Steuerreform. „Damit wir Politik nicht für eine imaginäre Mitte machen, sondern für eine reale Mehrheit in diesem Land“, sagt er. Für ihn steht fest, dass die „Partei, die einst Hartz IV einführte, auch diejenige sein muss, die Hartz IV wieder abschafft“.
Eingeführt wurde Hartz IV im Jahr 2005. Vorgestellt wurden die Arbeitsmarktreformen von Peter Hartz bereits 2002, und zwar im Französischen Dom in Berlin. Genau an jenem Ort, an dem am Dienstag über die Zukunft debattiert wird.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.