SPD kritisiert Gerichts-Schelte von NRW-Innenminister scharf
Für den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner ist die Sache klar: „Die Unabhängigkeit unserer Gerichte ist kein Luxus, den man sich gönnt, sondern eine Säule unseres Staatswesens“, betont er in der 'Neuen Westfälischen'. „Unsere Richterinnen und Richter sind daher auch nur der Verfassung und Recht und Gesetz verpflichtet.“ Politischen Stimmungen oder Meinungsumfragen dürften keinen Einfluss auf die Rechtsprechung haben, so Stegner.
Entsprechend hart kritisiert er NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU): „Das sollte auch dem anscheinend komplett überforderten Innenminister aus NRW bekannt sein. Wer absichtlich oder fahrlässig unsere Rechtsstaatlichkeit in Frage stellt, sollte kein politisches Amt innehaben.“
Gestörtes Verhältnis Reuls zur Justiz
Innenminister Reul hatte die Justiz im Fall des inzwischen abgeschobenen islamistischen Gefährders Sami A. kritisiert. In der „Rheinischen Post“ hatte er gesagt: „Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.“ Er bezweifele, dass das im Fall Sami A. geschehen sei.
Thomas Kutschaty, der SPD-Oppositionsführer in Nordrhein-Westfalen, warf Reul daraufhin im WDR-Hörfunk ein „gestörtes Verhältnis zur Justiz und zum Rechtsstaat“ vor. „Eine Justiz muss unabhängig entscheiden, da darf man auch nicht auf Stammtischmeinungen hören“, sagte Kutschaty, der von 2010 bis 2017 Justizminister in NRW war. Die Arbeit der Justiz so zu diskreditieren, „das darf sich kein Mitglied der Landesregierung erlauben“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag.
Die Grenzen des Rechtsstaates
Auch Nordrhein-Westfalens ranghöchste Richterin, Ricarda Brandts, kritisierte das Vorgehen von Politikern und Behörden im Fall Sami A. deutlich. Dadurch sei „die Unabhängigkeit der Gerichte unter Druck geraten“. Die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet.“ Für sie wirft der Fall „Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat - insbesondere zu Gewaltenteilung und effektivem Rechtsschutz - auf.“
Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, will als Konsequenz aus dem Behördengerangel im Fall Sami A. die Zuständigkeit des Bundes in vergleichbaren Fällen. „Ich habe das wiederholt gefordert und sage es noch einmal: Die Zuständigkeit für die Rückführung von Gefährdern muss künftig unbedingt im Bundesinnenministerium gebündelt werden, um ein derartiges Durcheinander zwischen unterschiedlichsten Behörden zu vermeiden“, so Lischka. Die Abschiebung von ausreisepflichtigen Gefährdern müsse nicht nur konsequent, sondern auch penibel und rechtssicher erfolgen.
Bindung an Recht und Gesetz
„Darüber hinaus gilt in Deutschland nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz, sondern auch die Bindung der Verwaltung und Rechtsprechung an Recht und Gesetz“, stellte der SPD-Innenexperte Lischka klar. „Es kann nicht sein, dass Gefühle Maßgabe und Grundlage für gerichtliche Entscheidungen sind."
Inzwischen hat sich NRW-Innenminister Reul für seine Gerichts-Schelte entschuldigt. Ihm sei klar geworden, dass seine heftig umstrittene Äußerung über Gerichtsentscheidungen, die möglicherweise nicht im Einklang mit dem Rechtsempfinden der Bürger stünden,„missverstanden werden konnte“, erklärte Reul am Freitag in einer Mitteilung. „Das bedaure ich.“
Reul bedauert seine Äusserungen
Reul sagte nun, für ihn sei klar, dass Richter ihre Entscheidungen nach Recht und Gesetz treffen müssten und die Verwaltung sich an diese Gerichtsentscheidungen halte. „Diese Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips sind für mich selbstverständlich.“ Ihm sei es darum gegangen, auf die öffentliche Wirkung des Gerichtsbeschlusses zur Rückholung eines ausreisepflichtigen Gefährders hinzuweisen. „Ich habe die große Sorge, dass die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen staatlicher Institutionen immer weniger verstehen. Alle staatlichen Gewalten sollten daher mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, ihr Handeln zu erklären.“