Inland

Sondierungen im braunen Sumpf

von Jörg Hafkemeyer · 22. November 2011
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Mehr als 5 000 Rechtsradikale kamen 2009 in die thüringische Stadt und hörten auf der Spielwiese im Park die Band Sleipner singen: "Jetzt sind wir da und schlagen ein wie eine Bombe. Die Jugend stolz. Die Fahnen hoch. Man hört uns schon marschieren. Der Sieg wird unser sein. Es wird schon bald passieren." Diese Veranstaltung fand keineswegs heimlich auf einem Hinterhof statt. Die Polizei war zugegen. Sah und hörte zu. Schritt nicht ein. Und es war keineswegs der ehemalige NPD-Chef Udo Vogt, der die 5 000 zu Jubelstürmen hinriss, es war unter anderem die braune Gruppe Sleipner, die dass schaffte. Ein Beispiel aus dem braunen Sumpf Thüringens, aus dem Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos stammen, die, wie ihre vielen Gesinnungsgenossen, in Deutschland keine Demokratie, keine Ausländer und keine Juden wollen.

 

Dieser Sumpf besteht aus Organisationen wie dem Nationalen Widerstand, der NPD, rechten Burschenschaften, den jungen Nationaldemokraten und dem "Freien Netz Jena". Ihre Mitglieder treffen sich in einem Zelt, das im Garten einer ehemaligen Gaststätte steht. Die hat der Neonazi Andre Kapke mit dem Vorsitzenden des NPD-Kreisverbandes Jena, Ralf Wohlleben und dem braunen Sänger Maximilian Lemke gekauft. Das war 2002. Sie nennen es das "Braune Haus". So wie die einstige NSDAP-Zentrale in München. Da das "Braune Haus" in Jena baufällig ist, treffen sie sich in einem großen Zelt im Garten. Das Zelt ist aus NVA-Beständen.

 

Und Andre Kapke? Er war ein enger Freund von den toten Böhnhardt und Mundlos und von Beate Zschäpe. Kapke ist darüber hinaus der Betreiber des Freien Netzes Jena. Freie Netze gibt es in ganz Deutschland.

 

Hinter den Webseiten sieht es finster aus: Hajo Funke, Rechtsextremismusexperte, ist davon überzeugt, dass sich hier "eine halb-klandestine neonazistische Organisation entwickelt" hat. Sie ist zu brutaler Gewalt bereit und fähig. Straff und hierarchisch organisiert. Sie plant ihre Gewalttaten strategisch, meint Funke: "Der Staat muss endlich prüfen, ob es sich bei den Freien Netzen um kriminelle Vereinigungen handelt."

 

Über die Jahre ist dieser braune Sumpf vom Verfassungsschutz und der Polizei nicht trocken gelegt worden. Dieser Sumpf ist tiefer geworden. Die Neonazis in den Freien Netzen, die nicht nur zu Gewalt ausrufen und in kürzester Zeit große Gruppen organisieren können, haben unterdessen in der NPD und bei den Jungen Nationaldemokraten wichtige Positionen. Führende Leute der Freien Netze sind enge Mitarbeiter des neuen NPD-Chefs Holger Apfel, obwohl sie die NPD nicht sehr schätzen, für eine schlaffe Organisation halten. Dieser Prozess hat 2009 begonnen und dazu geführt, dass die große Mehrheit der gewaltbereiten Kader auch NPD-Mitglieder geworden sind.

 

Manuel Tripp sitzt für die NPD im Stadtrat von Geithain. Tommy Naumann ist NPD-Kandidat für den Stadtrat von Leipzig. Maik Scheffler ist NPD-Stadtrat in Delitzsch. Drei von viele Beispielen. Und für alle drei Männer ist die NPD nicht ihre "Mutterpartei", eher ein Mittel zum Zweck. Sie verstehen sich als politische Soldaten einer Kampfgemeinschaft. Jedenfalls gilt mittlerweile für die thüringische NPD: Die Mehrheit ihrer Parteimitglieder ist militant. Das gilt auch für den Vorsitzenden Frank Schwerdt. In seinem Verlag erschien die CD der Band Volksverhetzer. Die kommt aus Thüringen. Von ihr ist das Lied Blutrausch: "Du hast so ein buntes Schwein vor dir liegen, hilflos und am Boden / Da nimmst du noch mal Anlauf und springst ihm in die Hoden / Mitten im Gefecht hörst du auf zu denken / Du willst ihn nur noch töten / Keiner kann dich lenken." Schwerdt wurde angeklagt und verurteilt. Wegen Gewaltverherrlichung. NPD-Chef ist er weiter.

 

 

 

 

 

 

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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