Bei einer Kundgebung der NPD gegen ein Flüchtlingsheim ergriff SPD-Kommunalpolitiker Patrick Dahlemann im vergangenen Sommer das Mikrofon und argumentierte gegen die hetzerischen Parolen. Ein halbes Jahr später wird ein Video des Auftritts ein Renner bei Youtube. Im Interview mit vorwärts.de erzählt Dahlemann, wie es dazu kam.
Sommer 2013: In Torgelow im Kreis Vorpommern-Greifswald hält die NPD eine Kundgebung vor einem geplanten Flüchtlingsheim ab. Der Landesvorsitzende Stefan Köster hetzt gegen „Asylbetrüger“ und „kriminelle Ausländer“. Patrick Dahlemann, Mitglieder im Stadtrat von Torgelow sowie im Kreistag von Vorpommern-Greifswald, ist unter den Gegendemonstranten, die Flyer verteilen und die Anwohner aufklären. Mehrfach spricht ihn Köster in seiner Rede an und bietet ihm schließlich an, auf die Bühne zu kommen, um den Torgelowern zu erklären, warum sie Menschen aus Syrien oder Afghanistan bei sich aufnehmen sollen. Dahlemann nimmt an.
Januar 2014: Kurz nach dem Jahreswechsel veröffentlich Patrick Dahlemann in seinem Youtube-Kanal einen Video-Mitschnitt des Auftritts. Die NPD hatte ihn ungeschnitten ins Internet gestellt, Dahlemann das Material bearbeitet und mit Kommentaren versehen. Innerhalb weniger Tage wird das Video fast 170 000 Mal aufgerufen und tausende Male per Facebook und Twitter geteilt.
vorwärts.de: Was bedeutet für Sie Mut?
Patrick Dahlemann: Mut bedeutet, für seine Überzeugungen einzutreten, auch wenn man weiß, dass man auf Gegenwind stößt.
Im Internet werden Sie von allen Seiten für Ihren Mut gelobt, weil Sie der NPD bei einer Kundgebung offen widersprochen haben. Wie ist es dazu gekommen?
Die NPD ist im vergangenen Sommer durch Mecklenburg-Vorpommern getourt und hat vor allen geplanten Standorten für Flüchtlingsheime Kundgebungen veranstaltet. Mit dem Aktionsbündnis „Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt“ haben wir friedliche Gegenproteste organisiert. Bei einer Kundgebung in Torgelow hat sich der NPD-Landtagsabgeordnete Stefan Köster in seiner Hetzrede direkt an mich gewandt und mir fünf Minuten seiner Redezeit angeboten – natürlich in der festen Annahme, ich würde nicht darauf eingehen und er könne mich bloßstellen. Doch da hat er sich getäuscht und so konnte ich das Mikrofon der NPD gegen sie wenden.
Wer war im Publikum?
Da waren Mitglieder der NPD dabei, aber auch Anwohner, die gegen die geplante Unterkunft waren. Im Laufe meiner Rede kamen aber immer mehr Menschen auf ihre Balkone oder auf die Straße, von denen ich im Nachhinein viel Zuspruch erhalten habe.
Viel Zuspruch haben Sie vor allem jetzt – ein halbes Jahr nach der Aktion – erhalten, nachdem Sie einen Zusammenschnitt der Rede im Internet veröffentlicht haben. Warum haben Sie so lange gewartet?
Natürlich hätten wir das Video auch gleich im Sommer veröffentlichen können, aber dann wäre es womöglich als Werkzeug im Bundestagswahlkampf gesehen worden. Das wollte ich nicht, denn dafür ist das Thema viel zu sensibel. Nach der Wahl war bald Weihnachten. Da passte das Thema auch nicht so recht. Anfang Januar war dann aber der passende Zeitpunkt gekommen: Am 7. Januar habe ich eine Veranstaltung zum Thema Asylpolitik gemacht und das Video einen Tag vorher im Internet veröffentlich.
Innerhalb kurzer Zeit hatte das Video 1000 Aufrufe. Mittlerweile sind es über 170 000. Hätten Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe schon erwartet, dass es eine politische Debatte geben wird, aber dass es solche Ausmaße annimmt, hätte ich mir nie und nimmer vorstellen können. Zu den vielen Aufrufen kommt ja auch noch das Echo in den Medien dazu.
Ist die direkte argumentative Auseinandersetzung mit der NPD ein Weg, den Sie anderen empfehlen würden?
Ich würde nicht jedem empfehlen, an ein Mikrofon der NPD zu stürzen, wenn es ihm angeboten wird. Man sollte sich vorher gut überlegen, ob man der Situation gewachsen und argumentativ so fit ist, die Menschen eher anzusprechen als die Nazis. Aber es muss ja auch gar nicht die große Bühne sein. Man kann Ausländerfeindlichkeit und Rassismus an vielen Stellen entgegentreten: in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, vielleicht sogar im Freundeskreis. Gelegenheiten dazu gibt es ja leider häufig genug.
Die NPD gehört in Ihrer Heimat Vorpommern leider zum täglichen Bild. Wie bieten Sie ihr normalerweise die Stirn?
Die NPD ist mit sechs Mitgliedern im Kreistag von Vorpommern-Greifswald vertreten und hat damit Fraktionsstatus. Normalerweise herrscht Konsens, dass nur ein Vertreter der demokratischen Parteien gegen einen Antrag der NPD spricht und er dann geschlossen abgelehnt wird. Das klappt leider nicht immer. Aus meiner Sicht ist es aber am wichtigsten, sich ehrlich um die Probleme der Menschen zu kümmern und Versprechen, die man vor der Wahl gegeben hat, auch zu halten. So gräbt man Rechten am besten das Wasser ab. Daneben ist es immer wichtig, Gesicht zu zeigen und ihren Veranstaltungen friedlichen Protest entgegenzusetzen. Wir Demokraten müssen den Menschen immer wieder klar machen, dass die NPD nur die Gutmenschen spielt, aber eigentlich kein Interesse hat, ihre Verhältnisse zu verbessern.
In das Flüchtlingsheim in Torgelow, vor dem das Video entstanden ist, sind im Dezember 130 Asylbewerber eingezogen. Wie ist die Lage vor Ort?
Sehr friedlich. Ein breites gesellschaftliches Bündnis kümmert sich um die Menschen. Statt den hohlen Parolen der Nazis zu glauben, wollen die Einwohner helfen. Das hat für mich Vorbildcharakter.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.