Inland

So eine tolle Wurst! Und fast ohne Fleisch!

von Martin Kaysh · 16. November 2012

Kann man der Lebensmittelindustrie trauen? Wohl kaum. Der Werbung? Erst recht nicht. Aber dem kleinen Metzger um die Ecke? Sie werden sich wundern!

Neulich gab es in Fallingbostel einen Chemieunfall in einer Lebensmittelfabrik. Man nehme nur einmal die Begriffe: Lebensmittel, Chemie und Fabrik, guten Appetit. In der Fernsehreklame hingegen wird jedes Produkt von Sterneköchen liebevoll von Hand zusammengerührt. Würden all die Markenartikel wirklich so aufwändig hergestellt, kostete die Tiefkühlpizza bald zwanzig Euro, und Gangster würden aus den Autos keine Navis mehr klauen, sondern Schokoriegel, die man im Handschuhfach vergessen hat.

Wir haben jetzt gelernt, dass Erdbeeren oft gar nicht von glücklichen rumänischen Wanderarbeitern in der norddeutschen Tiefebene gepflückt werden. Plötzlich gab es da diesen Erdbeerschleim aus China, blöderweise mit Noroviren behaftet. Während die Hälfte der ostdeutschen Schüler noch mit Brechdurchfall im Bett lag, beeilte sich der Lieferant der Schulkantinen mitzuteilen, die Lebensmittel selbst, also die Erdbeeren an und für sich, seien einwandfrei. So wie die Zuckerindustrie darauf hinweist, nicht der Zucker mache Kinder fett, dafür seien die Kalorien verantwortlich. Klar, auch die Atombombe selbst ist harmlos, es sind nur die blöden Strahlen.

Die erfreuliche Nachricht aus China: Immerhin sind in unserem Joghurt richtige Erdbeeren. Bislang war ich davon ausgegangen, dass der Geschmack im Joghurt erzeugt wird, indem man Baumrinde mit Bakterien zusammenbringt, deren Ausscheidungen irgendwie erdbeerig schmecken. Wobei hier der Vorteil ist, dass weder Baum noch Bakterie Chemie sind. Weshalb der Joghurt auch als „reines Naturprodukt“ verkauft werden darf.

Trauen dürfen wir dem kleinen Metzger in der Stadt. Bei mir um die Ecke ist so einer. Nach irgendeinem der vielen Lebensmittelskandale präsentierte er die „Wurst des Monats“. Ich stellte mir die dazugehörige Jury vor, besetzt mit Vertretern der gesellschaftlich relevanten Gruppen, wollte schon den Quotenplatz der Vegetarier dort einnehmen, als er seinen „Pizza-Leberkäse“ zum Monatssieger kürte. Diese Kombination überstieg meine Vorstellungskraft. Ich fragte an der Theke nach. Der Metzger schnitt beherzt ein Stück der Siegerwurst ab, wollte es über die Theke reichen, als ich ihn kurz stoppte mit dem Hinweis auf meine fleischlose Ernährung. Er lächelte, schob mir den Leberkäse fast in den Mund und erklärte: „Macht nix, da ist praktisch gar kein Fleisch drin.“ Ich lobe mir das ehrliche Handwerk. 

Autor*in
vorwärts-Kolumnist: Kabarettist und Alternativkarnevalist Martin Kays
Martin Kaysh

ist Kabarettist, Alternativ-Karnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare