Sieg gegen Twitter: Hetz-Tweets müssen gelöscht werden
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Twitter muss den baden-württembergischen Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume wirksam vor einer Verleumdungskampagne schützen. Das entschied an diesem Mittwoch das Landgericht Frankfurt/Main in einem Eilverfahren. Bestimmte Anschuldigungen und auch „kerngleiche Äußerungen“ darf Twitter nicht mehr verbreiten.
Bisher nur drei Tweets gelöscht
Seit September dieses Jahres hetzte der rechte Jerusalemer Journalist Ben Weinthal mit Dutzenden unsachlichen Tweets gegen Blume. Schon lange wirft ihm Weinthal vor, antiisraelisch zu sein. Doch nun unterstellte er Blume auch noch eine Nähe zur Pädophilie und fragte die Landesregierung, ob sie Blumes „sexuelles Fehlverhalten“ billige.
Blume forderte von Twitter eine Entfernung von 46 derartigen Tweets, doch nur drei Tweets wurden tatsächlich gelöscht. Später sperrte Twitter zwar Weinthals Account, gab ihn aber nach drei Tagen wieder frei, um ihn nach drei weiteren Tagen erneut zu sperren. Derzeit ist der Account noch gesperrt. „Aber niemand weiß, wie lange das so bleibt“, sagte Blumes Anwalt Chan-jo Jun vor der Gerichts-Verhandlung Ende November.
Sieg in fünf von sechs Fällen
Deshalb beantragte Blume in einem Eilverfahren am Landgericht Frankfurt, dass sechs Äußerungen und „kerngleiche“ Abwandlungen von Twitter nicht mehr verbreitet werden dürfen. In fünf von sechs Fällen gab die Pressekammer des Landgerichtes Blumes Anträgen nun statt, weil sein Persönlichkeitsrecht verletzt werde. So darf Twitter nicht mehr verbreiten, dass Blume „eine Nähe zur Pädophilie“ aufweise. „Das ist eine falsche Tatsachenbehauptung“, sagte die Vorsitzende Richterin Ina Frost, „es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass Herr Blume pädophil ist“.
Auch die Aussage, Blume habe „einen Seitensprung gemacht“, darf Twitter nicht mehr verbreiten. Hier sei ebenfalls nichts dafür vorgetragen worden, dass die Aussage wahr ist. Außerdem gehe es dabei um die besonders geschützte Intimsphäre.
Twitter haftet als „Störer“
Der dritte Komplex war diffiziler, aber auch hier obsiegte Kläger Blume. Die Behauptung, Blume sei „Teil eines antisemitischen Packs“ stufte das Gericht zwar als „Werturteil“ ein. Doch auch hier seien „wahre Anknüpfungstatsachen“ erforderlich, die Twitter nicht vorlegen konnte. Der „platte Antisemitismus-Vorwurf“ trage daher nichts zur öffentlichen Meinungsbildung bei und sei deshalb ebenfalls rechtswidrig.
Da Twitter sich die Aussagen seiner 237 Millionen Nutzer*innwn nicht zueigen macht, sondern diese nur als Plattform weiterverbreitet, haftet Twitter nur als so genannter „Störer“ für rechtswidrige Aussagen. Das heißt: Twitter muss nur reagieren, wenn sich ein Betroffener wie Blume beschwert. Diese Pflicht, einen angezeigten Vorfall angemessen zu prüfen, habe Twitter im Fall Blume verletzt, stellte Richterin Frost fest.
Twitter muss Aussagen suchen
Nur in einem Punkt hatte Twitter Erfolg. Auf die Eintragung Blumes in die Liste der zehn größten Antisemiten des Jahres 2021, die das rechtsgerichtete Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles vornahm, darf Journalist Weinthal in seinen Tweets weiter hinweisen. Diese Eintragung sei zwar umstritten, aber ein Fakt.
Als „neu“ bezeichnete Richterin Frost an ihrem Urteil die Ausweitung der Unterlassungspflicht auf „kerngleiche“ Äußerungen. Twitter hatte in der Verhandlung vor zwei Wochen zwar vorgetragen, es sei viel zu aufwendig und damit unzumutbar, nach Äußerungen zu suchen, die sich zwar im Wortlaut unterscheiden, aber den gleichen Inhalt transportieren. Die Bedenken Twitters seien aber zu unkonkret gewesen, so das Gericht.
Berufung möglich
Die Gefahr eines Overblockings kann Twitter laut Urteil vermeiden, wenn es die Betroffenen (hier Weinthal) beteilige, wie es im deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vorgesehen ist. Twitter muss nun also „kerngleiche“ Äußerungen immer dann stoppen, wenn sie binnen 24 Stunden mehr als zehn Mal verbreitet werden – sei es als neue Äußerung oder als Weiterleitung. Diese Einschränkung hatte Anwalt Jun selbst vorgeschlagen.
Sollte Twitter gegen die Pflicht verstoßen, droht dem Unternehmen ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro. Wenn dieses nicht bezahlt wird, müsste der Geschäftsführer von Twitter International in Dublin, Laurence O'Brien, sechs Monate in Ordnungshaft. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Twitter kann noch Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt einlegen.