Inland

Seit zehn Jahren Kampf um Mindestlohn

von Renate Faerber-Husemann · 13. November 2013

Michaela Rosenberger, erste Frau an der Spitze der ältesten Gewerkschaft Deutschlands, hat keinen vergnügungssteuerpflichtigen Job übernommen: Im Bereich „Nahrung-Genuss-Gaststätten“ (NGG) ballen sich die Probleme.

Die erbärmlichen Löhne bei oft extrem harten Arbeitsbedingungen in Hotels und Restaurants oder in der fleischverarbeitenden Industrie machen immer wieder Schlagzeilen und haben letzten Endes dazu geführt, dass selbst Konservative sich der Forderung nach einem Mindestlohn nicht mehr verschließen können.

Die 53-jährige Hotelfachfrau und Betriebswirtin weiß, was auf sie zukommt, denn sie ist seit zehn Jahren Mitglied des Hauptvorstands der NGG. Nach der Wiedervereinigung hatte die Gewerkschaft rund 400 000 Mitglieder, heute nur noch 204 000. Und gerade die Bereiche, in denen die Löhne besonders niedrig sind und die Arbeitszeiten besonders hoch, also im Hotel- und Gaststättengewerbe, sind praktisch gewerkschafts- und betriebsratsfreie Zonen. 

Gewerkschafts- und betriebsfreie Zone

Wegen der hohen Fluktuation, der stressigen Arbeitszeiten und der Angst um den Job ist es fast unmöglich, Betriebsräte zu finden. Michaela Rosenberger hat das in Interviews immer wieder illusionslos beschrieben: „Die Sechs-Tage-Woche bei zwölf Stunden Arbeitszeit ist die Regel, oft auch die Sieben-Tage-Woche. Sie bekommen ein geringes Grundgehalt und müssen das durch Trinkgelder ausgleichen.“ 

Sie berichtet von schlechter Unterbringung des Personals, Gehältern von 1200 Euro brutto und „dazu noch cash 400 Euro auf die Hand und Trinkgelder“. Auch wer unter solchen Umständen ein Leben lang arbeitet, kommt bei der Rente nicht über die Grundsicherung hinaus. 960 000 Beschäftigte im Gastgewerbe sind sozialversicherungspflichtig, 940 000 geringfügig beschäftigt. Rund 160 000 sind Aufstocker, das heißt, sie müssen Hartz IV beantragen, weil der Lohn zum Leben nicht reicht. „Machen Sie das bloß nicht, wenn Sie eine andere Alternative haben“, warnte Michaela Rosenberger schon vor zwei Jahren, als sie noch stellvertretende Vorsitzende der NGG war.

Die NGG war deshalb die erste Gewerkschaft, die sich schon vor zehn Jahren für einen Mindestlohn stark machte, der besonders Frauen zu einem etwas gerechteren Einkommen verhelfen würde. Immerhin sind 41 Prozent aller NGG-Mitglieder Frauen, im Hotel-und Gaststättengewerbe sind es sogar 58 Prozent.

Löhne nicht gezahlt, Urlaubsgeld verweigert, Betriebsräte zermürbt

Aktuell dürften die größten Probleme der neuen Vorsitzenden die skandalösen Zustände in der fleischverarbeitenden Industrie sein und bei den 91 Burger-King-Filialen, die den Besitzer gewechselt haben. Die Verstöße gegen Tarifvertrag und Betriebsverfassungsgesetz machen immer wieder Schlagzeilen. Michaela Rosenberger zählte jüngst auf: „Nachtzuschläge werden nicht gezahlt, Löhne verspätet oder gar nicht gezahlt, Urlaubsgeld verweigert, Betriebsräte zermürbt.“

Und dann ist da auch noch Brüssel. Die NGG ist ja zuständig für die Beschäftigten der Alkohol-, Tabak- und Süßwarenindustrie, alles Branchen, die bei der EU-Bürokratie unter Generalverdacht stehen.

Doch zähe Kämpfe ist man bei der NGG schon seit der Gründung gewohnt. Die direkte Vorläuferorganisation war der „Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiter-Verein“, gegründet 1865 in Leipzig. Heimarbeit, Kinderarbeit, Krankheit, Hunger waren die Regel. Doch die Arbeiter wehrten sich. 

Häufig bestimmten sie Vorleser, um die stumpfsinnige Arbeit besser ertragen zu können. Durch die Diskussionen über Romane, vor allem aber über das, was in sozialdemokratischen Zeitungen und anderen politischen Schriften stand, wurden sie zu politisch wachen Menschen, was dann in der Folge dazu führte, dass sie sich gewerkschaftlich zusammenschlossen. Schade, dass sich das heute nicht auf die modernen Ausbeutermethoden in der Fleischindustrie, in den Restaurantküchen oder bei Fast-Food-Ketten übertragen lässt! 

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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