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Sebastian Hartmann: Beim Strukturwandel hat Nordrhein-Westfalen eine Vorreiterrolle

Der Ausstieg aus der Braunkohle wird Nordrhein-Westfalen verändern. Der Vorsitzende der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, warnt davor, Arbeitsplätze und Naturschutz gegeneinander auszuspielen – und schlägt eine Weltausstellung im Jahr 2031 vor.
von Kai Doering · 10. Mai 2019
NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann: Der Vorschlag der Strukturwandelkommission ist eine gute Blaupause dafür, wie der Kohleausstieg gelingen kann.
NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann: Der Vorschlag der Strukturwandelkommission ist eine gute Blaupause dafür, wie der Kohleausstieg gelingen kann.

Können Sie das Wort „Struktur­wandel“ noch hören?

Als jemand, der in Oberhausen geboren wurde, natürlich. Der Strukturwandel ist untrennbar mit der Geschichte Nordrhein-Westfalens verbunden und hat das Land seit seiner Gründung geprägt. Wandel war bei uns immer. Ich sehe ihn als Chance, Dinge nicht einfach geschehen zu lassen, sondern sie zu gestalten.

Vor gut 50 Jahren gab es im Ruhr­gebiet 300.000 Kohle-Kumpel. Wie hat das die Region geprägt?

Ich durfte am 21. Dezember vorigen Jahres dabei sein, als Bundespräsident Steinmeier auf der Zeche „Prosper Haniel“ das letzte in Deutschland geförderte Stück Steinkohle von acht Kumpeln entgegengenommen hat. Das war ein sehr bewegender Moment. Bei der Förderung von Kohle ging es auch immer um die Werte der Menschen, die sie zu Tage gefördert haben. Im Ruhrgebiet hat es nie eine Rolle gespielt, wer in den Berg eingefahren ist. Da waren alle gleich. Es ging nicht um die Herkunft, sondern um Solidarität und Verlässlichkeit. Diese Werte haben diese Region jahrzehntelang geprägt – und dieses Vermächtnis der Kohle-Ära wird bleiben.

Ist der Strukturwandel im Ruhrgebiet gelungen?

Die Entwicklung im Ruhrgebiet zeigt sehr gut, wie man den Wandel gestalten kann. Sie ist allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Wer heute das Ruhrgebiet besucht, erlebt eine innovative und lebendige Region mit vielen industrienahen Start-Ups. Es ist eine lebenswerte Region mit vielen Freizeitmöglichkeiten und dennoch viel Nachholbedarf. Willy Brandts Forderung nach einem blauen Himmel über der Ruhr ist heute erfüllt – nicht zuletzt, weil Sozialdemokraten den Wandel immer als etwas Gestaltbares begriffen und eine Vision von einem besseren Morgen entwickelt haben.

Die negative Seite ist eine nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit in den ehemaligen Bergbau-Städten und Armut, die sich vererbt. Woran liegt das?

Die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet ist zu hoch und sehr ungleich verteilt. Wenn es mancherorts mehr als zehn Prozent ohne Arbeit sind, liegt das nicht daran, dass die Menschen nicht arbeiten wollen. Es liegt daran, dass die regionale Wirtschaftsstruktur keinen Anschluss halten konnte. Bei einem gelingenden Strukturwandel ist es wichtig, dass gute Arbeit entsteht. Es darf nicht passieren, dass ein gut bezahlter Arbeitsplatz, bei dem ein Tarifvertrag galt, ersetzt wird durch einen prekären Job in der Dienstleistungsbranche. Darauf werden wir als SPD auch beim Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier achten.

Der Strukturwandel ist also vor allem eine soziale Frage?

Nordrhein-Westfalen gründet auf der Idee der Arbeit – einer gut bezahlten Arbeit, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Der Steinkohleausstieg im Ruhrgebiet hat auch die Menschen im Rheinland interessiert, weil jeder wusste: Wir sind eng miteinander verflochten und wir sind ein Land. Diese Solidarität untereinander gehört zu unserer DNA,  und die erhoffe ich mir jetzt auch für die anstehenden Veränderungen im Rheinischen Revier. Der Wandel kann nur gelingen, wenn ihn alle gemeinsam angehen. Wer die Beschäftigten in der Kohleindustrie und die Naturschützer gegeneinander ausspielt, wie es die schwarz-gelbe Landesregierung in der Auseinandersetzung um den Hambacher Forst getan hat, gefährdet den sozialen Zusammenhalt.

Wie stellen Sie sich das Nordrhein-Westfalen der Zukunft vor?

Wir müssen die industrielle Arbeit auf höchstem Niveau erhalten – und das unter vernünftigen ökologischen und sozialen Bedingungen. Die Regierung von Hannelore Kraft hat bereits 2014 beschlossen, dass Nordrhein-Westfalen aus der Braunkohleförderung aussteigt. Damit haben wir den Menschen und den Unternehmen Planungssicherheit gegeben und dafür gesorgt, dass sich frühzeitig Gedanken gemacht werden, was eine gute Zukunft ohne Kohle ausmacht. Mit dem Strukturwandel haben wir eine Vorreiterrolle in Deutschland und der Welt. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, sondern sollten lieber zeigen, wie es richtig geht. Meine Idee dafür: Eine Weltausstellung an Rhein und Ruhr – am besten 2031, genau 85 Jahre nach der Gründung Nordrhein-Westfalens.

Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sollen bis zum anvisierten Ausstieg 2038 insgesamt 40 Milliarden Euro erhalten. 14,8 Milliarden sind bisher für NRW eingeplant. Wohin sollte das Geld fließen?

Zunächst ist entscheidend, dass die Braunkohlereviere nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Vorschlag der Strukturwandelkommission ist eine gute Blaupause dafür, wie der Kohleausstieg gelingen kann. Zentral wird sein, die Kommunen in die Lage zu versetzen, Flächen zu entwickeln und das Geld zielgerichtet zu investieren. Um Wertschöpfung und Beschäftigung in der Region zu halten, müssen wir auch den RWE-Konzern dazu verpflichten, die Entschädigungen, die er vom Bund erhält, in der Region zu investieren. Ein Beispiel: Wir wollen, dass am Standort eines alten Kohlekraftwerks ein modernes Wärmespeicherkraftwerk gebaut wird, um den Menschen weiterhin Arbeit zu geben und die Energieproduktion in der Region zu halten. Auch Investitionen in die Forschung sind essenziell, ebenso wie in den Erhalt und den Ausbau von Verkehrswegen ins Rheinische Revier. Für NRW ist es wichtig, den Steinkohleausstieg an der Ruhr gleichzeitig im Blick zu halten.

Der Strukturwandel nach dem Ende der Steinkohle ist auch nach 50 Jahren noch nicht abgeschlossen. Wie lange wird der Wandel nach dem Auslaufen der Braunkohle dauern?

Die Strukturwandel-Kommission hat mit ihrem Vorschlag eine gute Grundlage für einen neuen gesellschaftlichen Konsens für den Braunkohleausstieg vorgelegt. Denn am Ende muss es darum gehen, dass die Beschäftigten, die Umweltschützer und die Anwohner versöhnt Tür an Tür leben können und die Region wirtschaftlich und sozial erfolgreich bleibt. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat das Gegenteil getan und droht, wichtige Entscheidungen zu verschlafen. Was den Zeitrahmen angeht: Das vorgegebene Ziel ist die vollständige Abschaltung aller Braun- und Steinkohlekraftwerke bis 2038. Durch eine permanente Evaluation muss überprüft werden, ob dieses Ziel vielleicht auch schon früher erreicht werden kann, ohne dass es zu wirtschaftlichen, energiewirtschaftlichen oder sozialen Verwerfungen kommt. 2038, das klingt vielleicht erst einmal weit weg. Die Wahrheit ist – wir sind bereits mitten drin im Veränderungsprozess und dieser ist sicherlich 2038 noch lange nicht abgeschlossen. Da reden wir aus meiner Sicht über einen Zeitraum von mindestens zwei bis drei Jahrzehnten, vielleicht sogar noch länger. Aber mit Zuversicht und gutem Plan kann es gelingen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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