Sachsen: Weder „failed Freistaat“ noch „Land der Trottel“
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Die Sachsen haben es nicht leicht in diesen Tagen. Ob „failed Freistaat“, „das dunkelste Bundesland“ oder „Land der Trottel“, vor allem überregionale Medien haben das „Sachsen-Haudrauf“ für sich entdeckt.
Das Problem: Die Schablonen für Bilder der Schande aus Sachsen sind real. Orte wie Clausnitz, Heidenau, Freital, Bautzen oder Meißen sind längst Chiffren für fremdenfeindliche Gewalt – auch international. Von der „Pegida-Hochburg“ Dresden nicht zu sprechen. Pro Kopf werden im Freistaat drei Mal mehr fremdenfeindliche Übergriffe registriert als im Bundesschnitt. Ein Fünftel aller fremdenfeindlichen Angriffe in Deutschland sind in Sachsen zu verorten, obwohl das Bundesland nur fünf Prozent aller Asylbewerber aufgenommen hat.
Demokratie in Sachsen: radikal dagegen statt voll dabei
Statistiken, die sich mit der Wahrnehmung Engagierter vor Ort decken. „Wir haben in der derzeitigen politischen Stimmung ein Sicherheitsproblem im Land“, sagt Benjamin Zabel (SPD). Zabel ist Stadtrat in Plauen, einer Kreisstadt im Südwesten Sachsens. Er kennt die längst zum geflügelten Wort avancierten „sächsischen Verhältnisse“ genau, kämpft seit Jahren gegen sie an. Die „politische Lethargie“, die fehlende Tradition politischer Beteiligung und eine „Die-da-oben-gegen-uns-hier-unten-Mentalität“, all das sei vor Ort fest verankert. „Etablierte Parteien und Gewerkschaften gelten als Gegner“, berichtet Zabel, der zudem Gewerkschaftssekretär der IG Metall ist. „Entscheiden tut nur die Politik und ich kann nur dann etwas erreichen, wenn ich möglichst radikal dagegen bin“, fasst Zabel das Demokratieverständnis vieler Sachsen zusammen.
Vieler, aber eben nicht aller - den Verlust dieser Differenzierung beklagen Zabel und andere nicht zu Unrecht. Einer von ihnen ist Henning Homann. „Differenzierte Betrachtung ist das Gebot der Stunde“, fordert der SPD-Landtagsabgeordnete und verweist auf Fakten, die pauschale Kritiker Lügen strafen. So verfüge Sachsen über eine „deutschlandweit einmalige Initiativenlandschaft“, geschaffen durch gezielte Maßnahmen im Bereich der Demokratieförderung. Tausende Sachsen engagieren sich für im Freistaat untergebrachte Flüchtlinge. Leise, unauffällig, ohne Aufruhr und große Schlagzeilen.
Immun gegen Rechtsextremismus!?
Homann sagt aber auch: „Sachsen ist ein Modellprojekt dafür, was passiert, wenn 25 Jahre zu wenig politische Bildungsarbeit geleistet wird.“ Ein Gesetz zur zusätzlichen Beantragung von Bildungsurlaub, wie in anderen Ländern üblich, fehlt in Sachsen. Wozu auch, fragen Beobachter der politischen Szene im Freistaat. Agiere die seit 26 Jahren auf der Regierungsbank sitzende CDU das Land nach dem Motto „l'état c'est moi“ – der Staat bin ich.
Einer der Beobachter ist Ralf Hron, Regionalgeschäftsführer des DGB-Südwestsachsen. Seit der Wiedervereinigung beschäftigt er sich mit dem Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern, allen voran in Sachsen. Der aktuell viel zitierte Ausspruch des damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, „die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus“, wirkt Hron zufolge bis heute nach. „Grün-weiße Herrlichkeit“ nennt er den Kern des „sächsischen Gründungsmythos“, der dem Land nach 1990 von der CDU übergestreift worden sei. Die Folge: Ein Demokratiedefizit, das seines Gleichen sucht. „Gelebte Demokratie wird in Sachsen traditionell verhindert“, kritisiert Hron. „Wir wissen, was für euch gut ist“, fasst er den Regierungsstil der CDU im Freistaat zusammen. „Die CDU in Sachsen versteht sich als identisch mit dem Staat“, erklärt Hron. In der eigenen Denklogik sei es daher nur folgerichtig, jeden Kritiker als Querulanten, der nicht die CDU, sondern ganz Sachsen verächtlich machen wolle, zu brandmarken. Das „Nestbeschmutzer-Problem“, nennt es Ralf Hron.
Kritik wird zum Vertrauensbruch
Der derzeit prominenteste „Nestbeschmutzer“ aus Sicht der Sachsen-CDU heißt Martin Dulig (SPD). Medienberichten zufolge hatte Ministerpräsident Stanislaw Tillich in nicht öffentlicher Runde angesichts der wiederholten Kritik seines Stellvertreters getobt, Dulig Vertrauensbruch vorgeworfen. Eine symptomatische Reaktion, lenkt sie doch von den eigentlichen Problemen ab. Dulig wiederum, der auf dem SPD-Landesparteitag die „beispiellos schlechte Fehlerkultur“ im Freistaat kritisiert hatte, darf sich bestätigt fühlen.
Weniger prominent, dafür schon länger in der Rolle des Nestbeschmutzers ist Marc Dietzschkau. Gemeinsam mit anderen Aktivisten koordiniert er das Bündnis „Herz statt Hetze“. Zuletzt mobilisierten sie bis zu 8.000 Menschen zu einer Demonstration für Toleranz und Offenheit in der sächsischen Hauptstadt. Ein kraftraubendes Unterfangen, gerade in Dresden. „Es wurde von vornherein versucht, uns zu kriminalisieren“, so Dietzschkau. Die Zusammenarbeit mit den Behörden der Stadt gestalte sich schwierig. Der 13. Februar - lange Jahre der Tag, an dem bis zu zehntausend Neonazis mehr oder minder ungestört in Dresden demonstrieren konnten - müsse bei der Analyse der aktuellen Verhältnisse mitgedacht werden, so Dietzschkau. Nicht zufällig wählten die Neonazis Dresden und nicht zufällig brauchte es eine bundesweite Mobilisierung, um Dresden von der Veranstaltung zu befreien, meint er.
Es geht um mehr als das Image von Sachsen
Gerade weil sich daran bislang nicht entscheidend etwas geändert hat, braucht es Initiativen wie „Herz statt Hetze“, sagt Dietzschkau und fügt hinzu: „Uns geht es nicht um den Ruf einer Stadt oder den Sachsens, wir sind einfach für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit.“ Würden noch mehr seiner Landsleute so denken und handeln, die Probleme Sachsens wären deutlich kleiner.