Inland

Rechte Gewalt auf Höchststand - Mehrheit mit fremdenfeindlichem Gedankengut

von Stefan Grönebaum · 14. Dezember 2006
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Im Jahr 2006 erreicht die rechtsextreme Kriminalität in Deutschland vermutlich einen Höhepunkt: Von Anfang Januar bis Ende Oktober registrierte die Polizei genau 10 154 rechte Straftaten. Das ist eine Zunahme von rund 20 Prozent gegen dem Vorjahr. Auch die Zahl der Gewaltdelikte stieg um rund 20 Prozent auf 593, das sind mehr als für das ganze Jahr 2005 registriert worden sind.

"Hochgradig besorgniserregend" nannte Sebastian Edathy, SPD-MdB und Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestags, diese Zunahme. Wolfgang Bosbach, Vize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, klagte, die Rechten sähen sich durch das Scheitern des Verbotsverfahrens gestärkt. Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, nannte die Entwicklung "eine Bankrotterklärung der Politik".

Laut der am Mittwoch veröffentlichten Studie "Deutsche Zustände 2006" hat fast jeder zweite Deutsche fremdenfeindliche Überzeugungen. In Ostdeutschland meist mehr als 60, in den alten Bundesländern 49 Prozent. Das Autorenteam um den Bielefelder Soziologieprofessor Wilhelm Heitmeyer maß die Spitze in Mecklenburg-Vorpommern (63,7 Prozent), den geringsten Anteil hat Berlin mit 36,9 Prozent, der Mittelwert beträgt 48,5 Prozent (Hessen 48,4 Prozent).

Laut Heitmeyer hat der "fröhliche Patriotismus um die Fussball-WM 2006" nicht eine normale Identität, sondern ausgrenzenden Nationalismus gefördert: "Es ist gefährlich soziale Desintegration mit Nationalstolz kompensieren zu wollen." Er warnt daher vor den riskanten Folgen patriotischer Kampagnen. Der These, es gebe zu viele Ausländer im Land, stimmen 60 Prozent der Deutschen zu, sechs Prozent mehr als 2002. Gewachsen vor allem die Aversion gegen Muslime, der klassische Antisemitismus sei dagegen eher rückläufig.

Die Studie zeigt, dass absteigende Regionen und bildungsschwache Schichten anfälliger sind für autoritäres, rechtes und fremdenfeindliches Gedankengut. Gerade (männliche) Jugendliche erlebten sich oft als politisch machtlos, bräuchten die Erfahrung echter Teilhabe. Daher fordert Heitmeyer, die Schulen umzubauen. Es gehe nicht um politischen Unterricht, den die Jugendlichen als "Heuchelei" durchschauten, sondern um echte Beteiligungsmöglichkeiten.

Der Tagesspiegel vom 14. Dezember; die tageszeitung (u.a. ausführliches Interview mit Prof. Heitmeyer) und Frankfurter Rundschau vom 15. Dezember.

Autor*in
Stefan Grönebaum

war von 1994 bis 1998 Büroleiter und Persönlicher Referent des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rüdiger Fikentscher.

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