Mit sozialer Integration sicherte die SPD unsere Demokratie. Daran fehlt es bisher in den arabischen Staaten. Mit bitteren Folgen.
Der arabische Frühling ist verblüht, Europa hat durch Ignoranz der sozialen Verhältnisse dazu beigetragen. Für traditionelle Diplomatie und wirtschaftsliberale Politik ist das kein Wunder, Sozialdemokraten aber müssen nachdenklich werden. Die jungen Demonstranten haben „Schuldige“ vertrieben, aber sozial hat sich nichts geändert. So waren islamische Parteien erfolgreich, mit „traditionellen Lösungen“, konträr zu Vorstellungen der Internetgeneration.
„Westliche“ Begeisterung über die Freiheitsliebe junger Araber hat den meisten von ihnen nicht viel gebracht. Grund der Aufstände waren auch die Wohlstandsunterschiede zu europäischen Staaten sowie ungleiches Wachstum und soziale Ungerechtigkeit. In den arabischen Staaten hat von 100 Arbeitsfähigen nicht die Hälfte Arbeit. Die Jugendarbeitslosigkeit ist weltweit die höchste, sie ist aber ein Übergangsproblem, Folge hoher Geburtenraten 20 Jahre zuvor, heute liegt in Tunesien die Kinderzahl pro Frau unter zwei.
Die EU fördert marktorientierte Entwicklungskonzepte mit weniger Steuern und Sozialabgaben. Das führt zu Wachstum mit mehr Ungleichheit. Trotz besserer Bildung fehlt Arbeit für die gut ausgebildeten Jungen. Arbeiten können sie nur im so genannten informellen Sektor, in dem es keine Arbeitsverträge und keinen sozialen Schutz gibt.
Europa begeisterte sich zunächst über mehr Freiheit, engagierte sich aber nicht für Freiheit von materieller Not. Diese Halbierung der Menschenrechte diskreditiert „westliche“ Demokratie bei jungen Arabern. Sozialdemokratie verbindet Freiheit und soziale Sicherheit in der Demokratie zu sozialer Integration. Das überwand nationalistische wie religiöse Aggressivität, das könnte auch den Islam tolerant machen.
Die Sozialistische Internationale hat ihre Strategie globaler Wohlfahrtsstaatlichkeit mit sozialdemokratischen Parteien aus Marokko und Tunesien konkretisiert, bei zwei Grundpositionen.
Erstens: Bei allen traditionellen ökonomischen und kulturellen Strukturen können auch in arabischen Staaten Familie und religiöse soziale Verantwortlichkeit staatliche Sozialpolitik nicht ersetzen. Zweitens: Informelle Arbeit ist der entscheidende Gegensatz zu sozialer Integration. In arabischen Staaten wird Demokratie nur real, wenn sich Sozialdemokraten und islamische Parteien darüber verständigen.
Industrielle Produktion und Sozialstaat sind dort möglich. Aber soziale Integration erfordert gerechte Besteuerung, die Beschäftigten brauchen starke Gewerkschaften und Tarifverträge, Mindestlöhne sind nützlich. Und ausländische Investoren sollten, besonders im Tourismus, soziale Konditionen, vergleichbar denen zu Hause, akzeptieren.
ist seit 2001 Mitglied im SPD-Parteivorstand. Von 1999 bis 2002 war er Staatsminister im Auswärtigen Amt. In Nordrhein-Westfalen war er von 1980 bis 1990 Minister für Stadtentwicklung.