NSU: Seit 200 Tagen auf der Suche nach der Wahrheit
Seit 200 Verhandlungstagen versucht der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München die monströsen Verbrechen der Terrororganisation Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) aufzuklären. Laut Anklage sollen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe den NSU gebildet haben. Böhnhardt und Mundlos brachten sich nach einem gescheiterten Bankraub um, übrig ist Zschäpe, die eisern zu den Vorwürfen schweigt. Ihre Mitangeklagten Ralf Wohlleben, André E. und Holger G., die wegen Beihilfe vor Gericht stehen, schweigen ebenfalls. Lediglich Carsten S. sagte umfänglich aus.
Keine einfache Aufgabe für das Gericht unter Vorsitz von Manfred Götzl, das sich bei der Wahrheitsfindung zum großen Teil auf Indizien stützen muss. Bislang wurden 521 Zeugen vernommen sowie 19 medizinische und 19 technische Sachverständige geladen. Sie sagten unter anderem aus zu neun Morden an Migranten und einem Mord an einer Polizistin sowie zu zwei Sprengstoffanschlägen. Derzeit geht es um die insgesamt 15 Banküberfälle, die dem NSU-Trio zugeschrieben werden, um Hintergründe der Waffenbeschaffung des NSU und des Szenelebens in Jena und Chemnitz in den 1990er Jahren.
Damals lernten sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe kennen und radikalisierten sich. Damals knüpften sie auch das Netzwerk, das ihnen ermöglicht haben soll, zehn Jahre lang unterzutauchen und unentdeckt zu morden. Ein Ende der Zeugeneinvernahme ist noch nicht abzusehen, Termine sind bereits bis Anfang 2016 vergeben. Bei Kosten von grob geschätzt etwa 150.000 Euro pro Tag hat der Staat bereits 30 Millionen Euro für den Prozess ausgegeben.
Wie ist der Stand der Dinge?
Inzwischen gehen die meisten Beobachter davon aus, dass Beate Zschäpe wegen schwerer Brandstiftung wahrscheinlich verurteilt werden wird. Ob sie als Mittäterin bei den Verbrechen des NSU überführt werden kann, daran bestehen bislang Zweifel. Zschäpes Anwälte sehen ihre Mandantin nicht belastet, während die Bundesanwaltschaft von einer eindeutigen Mittäterschaft ausgeht. Dass Zschäpe von den Taten ihrer beiden Lebensgefährten nichts gewusst haben soll, erscheint jedoch abwegig, zu viele Vorwürfe der Anklage konnten erhärtet werden.
Während die Wahrheitsfindung bei den angeklagten Taten gut voranschreitet, werden die Hintergründe immer unübersichtlicher. So steht nach wie vor die Frage im Raum, ob der NSU bei seinen Taten Helfer hatte. So passen die Beschreibungen des Täters beim Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse nicht auf Mundlos oder Böhnhardt. Für den Prozess ist dieser Umstand nur ein kleines Detail, für die umfassende Aufklärung der Hintergründe des NSU, die vor allem die Nebenkläger fordern, ist dies jedoch von großer Bedeutung. Immerhin ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen weitere Personen aus dem NSU-Umfeld, ob Anklage erhoben wird, steht nicht fest.
Welche Rolle spielten die Geheimdienste?
Unklar ist auch die Rolle der Geheimdienste, besonders des Verfassungsschutzes. Der besaß viele Informationen, gab sie aber oft nicht an die Polizei weiter, angeblich um die V-Leute in der Szene zu schützen. Hätten andernfalls Morde verhindert werden können? Vor allem der Fall Halit Yozagt, der 2006 vom NSU ermordet wurde, wirft viele Fragen auf, denn ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes war während der Tat anwesend. Er behauptet jedoch, davon nichts mitbekommen zu haben.
Auch die Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn, die auf das Konto des NSU geht, bleibt rätselhaft. War sie zufälliges Opfer oder wurde sie gezielt umgebracht, weil sie etwas wusste? Ausgerechnet zu diesem Tatkomplex starb ein Zeuge kurz vor der Vernehmung. Die Polizei ermittelte, dass es Selbstmord war.
Ohnehin fragen sich viele Beobachter, warum sich die Ermittler der Polizei bei der Aufdeckung des NSU so schwer taten. War die Polizei auf dem rechten Auge blind? Gab es gar rassistische Vorurteile, die den Blick auf die Tatsachen erschwerten?
Mit diesen Vorwürfen haben sich diverse Untersuchungsausschüsse in Landtagen und im Bundestag befasst, ohne sie wirklich aufklären zu können.
Opferanwälte attackieren Bundesanwaltschaft
Die Aufdeckung dieser Zusammenhänge gehört nicht zu den Aufgaben des Oberlandesgerichts München – denn Pannen bei den Ermittlungen sind nicht angeklagt, sondern nur die Taten des NSU. Dass sich der Staatschutzsenat dennoch ausführlicher als erwartet damit befasst, ist wohl ein Zugeständnis an die Opferanwälte, die dies immer wieder vehement fordern. Zuletzt griffen einige Opferanwälte gemeinsam die Bundesanwaltschaft an, da sie die Aufklärungsbemühungen des Gerichts besonders zur Rolle der Geheimdienste nicht unterstütze. Dies wies die Bundesanwaltschaft umgehend zurück. Es bleibt spannend.