Das Sprachgebiet der Sorben reichte einst von Bober und Queis im Osten (heute in Polen gelegen) bis zur Saale und Elbe im Westen, von Berlin im Norden bis zu den Mittelgebirgen im Süden. Die
alte Bezeichnung Łužica, deutsch Lausitz, verweist auf ein sumpfiges, wasserreiches Gebiet. Infolge der deutschen Ostkolonisation kamen im 13. Jahrhundert Tausende Neusiedler in die Region,
wodurch die ansässigen Sorben - ihre Selbstbezeichnung lautet Serbja oder Serby - allmählich zur Minorität im eigenen Land wurden. Heute geht man aus von rund 60 000 Angehörigen - 40 000
Obersorben in Sachsen und 20 000 Niedersorben in Brandenburg -, von denen jedoch nur die Hälfte eine der beiden sorbischen Sprachen spricht.
Hochkultur in Literatur, Musik und Kunst
Der historisch unvermeidliche Assimilationsprozess des kleinen slawischen Volkes verlief in unterschiedlichem Tempo. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 mussten sich alle
Minderheiten nationalistischen Drucks erwehren. Jetzt zahlte sich der kulturelle Aufschwung aus, den das sorbische nationale Erwachen im 19. Jahr¬hundert bewirkt hatte. Gefestigt worden war eine
bürgerliche Hochkultur in Literatur, Musik, bildender und darstellender Kunst. Nach dem liberaleren Vorgehen in der Weimarer Republik versuchten die Nationalsozialisten in der Lausitz eine Art
"ethnische Säuberung" durchzusetzen.
Nach dem Krieg erwarteten die Sorben daher eine Wiedergutmachung. 1948 erließ der Sächsische Landtag das "Gesetz zur Wahrung der Rechte der sor¬bischen Bevölkerung", das den Sorben -
erstmals in ihrer Geschichte - eine relative Autonomie in Bildung und Kultur, in Wissenschaft und Verwaltung bescherte. Schlie߬lich zählten die slawischen Völker zu den Verbündeten des
ostdeutschen Staates. Bedingung für die durchaus konstruktive "marxistisch-leninistische Nationalitätenpolitik" war freilich das Wohlverhalten der Minderheit gegenüber der DDR-Ideologie.
Sprache und Kultur lebendig halten
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden die Rechte der Sorben in den Landesverfassungen Sachsens und Brandenburgs, aber auch in speziellen neuen "Sorbengesetzen" festgeschrieben. Die
1991 errichtete Stiftung für das sorbische Volk übernahm den Auftrag, Sprache, Kultur und Identität des Ethnikums zu pflegen und zu fördern. Als moderne Identifikationszentren einer in ihrer
Existenz nach wie vor gefähr¬deten Minderheit dienen seit dem Zweiten Weltkrieg ein professionelles Theater, ein Folkloreensemble, ein außeruniversitäres und ein universitäres Institut (in
Bautzen bzw. Cottbus und in Leipzig) sowie ein leistungsfähiger Buch- und Zeitschriftenverlag.
Ein differenziertes Schulwesen bietet sorbischen und deutschen Kindern die Chance zum Erwerb sorbischsprachiger Kompetenz, die traditionell die Grundlage der nationalen Zugehörigkeit
bildet. Eine auskömmliche finanzielle Förderung durch den Bund und die beiden Länder schafft die Voraussetzung dafür, sorbische Sprache und Kultur, sorbische Bräuche und Traditionen auch in
Zukunft als regionalen Reichtum lebendig zu erhalten.
Der Slawist
Professor Dietrich Scholze ist seit September 1992 Direktor des Sorbischen Instituts Bautzen.
www.sorben.com
www.serbski-institut.de
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