Inland

Nach Corona-Erfahrung: SPD will Reform des Bevölkerungsschutzes

In der Corona-Pandemie spielt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe bisher kaum eine Rolle. Das soll sich künftig ändern. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu einen Reformplan vorgelegt. Er setzt auf flexibles und zügiges Handeln, sowie mehr Kompetenzen für den Bund.
von Sebastian Hartmann · 25. März 2021
SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann: „In Krisensituationen ist eine bundesweit einheitliche, übergreifend abgestimmte Kommunikationsstrategie elementar.“
SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann: „In Krisensituationen ist eine bundesweit einheitliche, übergreifend abgestimmte Kommunikationsstrategie elementar.“

Die Flüchtlingszuwanderung im Sommer 2015 oder das Elbehochwasser 2013 haben gezeigt, dass unser Bevölkerungsschutzsystem insbesondere durch viele ehrenamtliche Kräfte schnell und flexibel in der Lage war, Ressourcen zu mobilisieren und bedarfsorientiert einzusetzen. Die COVID-19-Pandemie ist für dieses jedoch eine immense Herausforderung. Obwohl das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) schon 2007 eine sog. LÜKEX-Übung zu einer weltweiten Pandemie durchführte, spielte die Behörde bei der Bekämpfung von Covid-19 bisher kaum eine Rolle. Das bleibt unverständlich. Erst Mitte März – ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie – stellten Bundesinnenminister Seehofer und BBK-Präsident Schuster ihre Vorschläge für eine Neuausrichtung des Bevölkerungsschutzes vor – reichlich spät und letztlich begrenzt in den Zielsetzungen.

Denn auch abseits der Pandemie werden die Herausforderungen nicht kleiner. Neuen, hybriden Gefahrenlagen durch Cyberkriminalität, drohenden Klimakatastrophen und gesteuerten Desinformationskampagnen muss mit grundsätzlichen Überlegungen begegnet werden. Dabei ist anzuerkennen, dass die föderale Architektur aus zentraler fachlicher Beratung und dezentraler Vorsorge sowie Implementierung maßgeblich zum Funktionieren des Bevölkerungsschutzes beiträgt. Ehrenamtliche als große Stütze des Systems können zum Beispiel leichter eingebunden und Maßnahmen sowie Ressourcen bedarfsorientierter angeordnet werden.

Zuständigkeiten und Entscheidungen auf den Prüfstand

Damit dieses System jedoch effektiv funktioniert, ist eine ständige Rückkoppelung zwischen Bund, Ländern und Kommunen notwendig. Veraltete Katastrophenschutzpläne und eine Vielzahl von Akteuren in Beratungs- und Entscheidungsgremien können zudem zu Trägheit und widersprüchlichem Kommunikationsverhalten führen. Insbesondere mit dem Blick auf das vergangene Jahr gilt: Wir müssen von krisenspezifischen ad-hoc-Strukturen wegkommen. Horizontale und vertikale Zuständigkeiten sowie Entscheidungsstrukturen gehören auf den Prüfstand.

Schon im letzten Jahr habe ich umfassende Vorschläge für einen zukunftsfähigen Bevölkerungsschutz unterbreitet. Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion und im Austausch mit Vertreterinnen und Vertreten der Länder, aus Kommunen und Verbänden sowie mit Ehrenamtlichen wurden sie breit diskutiert. Am Dienstag, dem 24. März 2021, beschloss die SPD-Bundestagsfraktion auf dieser Basis ihr Positionspapier „Zukunft des Bevölkerungsschutzes – Update statt Systemwechsel“.

SPD-Bundestagsfraktion will Grundgesetz ändern

Hervorzuheben ist: Ein moderner Bevölkerungsschutz muss sich durch informiertes, flexibles und zügiges Handeln sowie einen starken, vorsorgenden Staat auszeichnen. Dafür müssen wir uns von der Idee des Kooperationsverbots beim Katastrophenschutz verabschieden und zu einem Kooperationsgebot kommen. Wir wollen das Grundgesetz mit dem Ziel ändern, dem Bund mehr Handlungsspielraum zu ermöglichen und gleichzeitig den Ländern ihren benötigten Spielraum garantieren. Bei länderübergreifenden Krisen wie der Pandemie würde der Bund mehr Kompetenzen erhalten – als kooperativer und wo nötig, steuernder Partner. Das soll eine verbesserte Koordinierung innerhalb einer klaren Organisationsstruktur ermöglichen, die schon vor einer Krise verbindlich festgelegt ist. Genauso werden finanzielle Unterstützungen des Bundes an Länder und Kommunen auf eine stabilere Basis gestellt. Auch wenn wir keine umfassende Kompetenzneuverteilung anstreben, sondern die Stärkung des gesamten Systems, liegt hier ein entscheidender Unterschied zu den Vorschlägen von Bundesinnenminister Seehofer.

Im Mittelpunkt dieses verbesserten Verfassungsgefüges steht das BBK, das wir zu einer echten Sicherheitsbehörde ausbauen wollen. Sie soll eine zentrale Rolle bei der strategischen Bevorratung und Beschaffung von Schutz- und Versorgungsmaterialien erhalten. Die Erkenntnisse von LÜKEX-Übungen und Risikoanalysen müssen verpflichtend berücksichtigt und das gesamtstaatliche Lagebild aufgewertet werden.

Künftig ausgebildete Krisenhelfer*innen

Gleichzeitig schlagen wir vor, Krisen- und Präventionshelferinnen und -helfer auszubilden, die die Arbeit der ehrenamtlich Tätigen im THW sowie der Ehrenamtlichen in den Feuerwehren, Rettungs- und Hilfsdiensten sinnvoll ergänzen und verstärken. Zusätzlich dazu sollen Erste-Hilfe-Kurse und Kurse für die Ausbildung als RettungsschwimmerIn deutlich ausgebaut und Menschen ermuntert werden, in regelmäßiger Folge daran teilzunehmen.

In Krisensituationen ist eine bundesweit einheitliche, übergreifend abgestimmte Kommunikationsstrategie elementar. Diese sollte nicht ad hoc verabredet und geplant werden, sondern Teil der Vorsorgeplanung sein. Ein strukturiertes Monitoring von Fake News und deren Verbreitung in Krisenzeiten ist ebenso wichtig, um Fehlinformationen aufgreifen und gegensteuern zu können. Das BBK kann zusätzlich durch die fortführende Organisation bundesweiter Warntage und den Ausbau der Bevölkerungsschutz App Nina die Länder und Kommunen bei der Resilienzbildung und der Wissensvermittlung in der Bevölkerung unterstützen.

Corona erzeugt akuten Handlungsdruck

Die SPD-Fraktion unterbreitet mit ihrem Positionspapier ein umfassendes Angebot für die Zukunft des Bevölkerungsschutzes in Deutschland. Bestimmte Krisen, wie die aktuelle COVID-19-Pandemie, erzeugen einen akuten Handlungsdruck auf allen politischen Ebenen. Die Herausforderungen eines modernen Bevölkerungsschutzes dürfen gleichzeitig nicht zu Aktionismus verleiten. Jede Diskussion um eine Verfassungsänderung ist mit Augenmaß, Sachverstand und Weitsicht zu führen. Zudem bedarf es der dauerhaften Bereitschaft, den Staat als Ausdruck des organisierten Gemeinwesens nicht nur in Krisenzeiten finanziell zu stärken, sondern entlang des Gedankens des vorsorgenden, starken Staates anders zu finanzieren sowie Personal und Ressourcen langfristig und strategisch aufzubauen. Nur dann kann das Update unseres Bevölkerungsschutzsystems gelingen.

 
Autor*in
Sebastian Hartmann

ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Datenschutz und Cybersicherheit.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare