Die Europäische Union (EU) leidet am Vertrauensverlust ihrer Bürger. Nationale Bestrebungen kratzen an dem Bild der Friedensunion und stellen sie in Frage. Was müssen wir tun, um dieses einmalige Projekt zu retten?

Mit Ende des Kalten Krieges glaubten viele, dass Europa mithilfe von Integrationsprozessen zusammenwachsen werde. Doch spätestens der Zerfall Jugoslawiens und die damit einhergehenden Kriege in den 1990er Jahren zerstörten diese Hoffnungen. Fast ein Jahrzehnt war geprägt von Massakern und Leid. Es bildeten sich viele neue Staaten, die stark unter der Nachkriegszeit litten – zum Teil bis heute.

Wie ist das Verhältnis von Nation und Europa heute? Diese Frage diskutierten SPD-Urgestein und Publizist Egon Bahr, der Publizist und Autor Achim Engelberg und der Historiker Andreas Wirsching unter der Leitung von Irina Mohr in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin.

Phönix aus der Asche

Jugoslawien sei eine Ausnahme gewesen, meint Andreas Wirsching. Die Nationen Osteuropas müssten jetzt aber im Zeitraffer die Entwicklungen seit 1989 nachholen, was vielen schwer fiele. Die EU hätte bis zum heutigen Tag viel geleistet. „Die jüngst gegründete EU hat Standards gesetzt mit den Kopenhagener Kriterien, aber die Ausbalancierung zwischen Nationalstaat und EU-Verfassung kommt in der Europadebatte zu kurz.“

Egon Bahr könne nicht mit einem Europa leben, das sich zu einer Lachnummer entwickle. „Wir sind nicht fähig, uns zu emanzipieren.“ In 20 Jahren werde die EU nur noch 2-3 Prozent der Weltwirtschaft ausmachen. „Andere Länder warten nicht auf uns, sondern entwickeln sich weiter. Es wäre schade, wenn wir unsere Möglichkeiten nicht nutzen“, so Bahr. Vor allem der Euro solle wichtiger werden. Bahr kritisierte zudem Großbritannien. „Seit Ende des Krieges ist Großbritannien mit diplomatischen Interesse darauf konzentriert, die Integration Europas zu verlangsamen“, kritisierte Bahr. Man müsse England vor die Wahl stellen, ob sie den Euro wollen oder nicht. „England ist zu  einer Provinz Amerikas geworden“, sagte Bahr mit Blick auf den Abhörskandal.

„Die Krise Europas besteht in seinem Zusammenwachsen“

„Die Europafrage ist auch immer eine Regionsfrage“, fügte Wirsching hinzu. Internationale oder sogar globale Angelegenheiten seien Vielen zu abstrakt. Man müsse die Zentralisierung der EU in Brüssel vermeiden. Die zunehmende Politikverdrossenheit sei schon im nationalen Rahmen zu stark. „Die Komplexität herunterzubrechen ist ein langer und schwieriger Weg.“ Auch in Deutschland sei mit der Alternative für Deutschland (AfD) eine Partei gestärkt worden, die klare anti-europäische Tendenzen aufweise. Der Nationalstaat habe sich überlebt, aber die Nation sei der Ort, wo sich Menschen zu Hause fühlten. Deswegen dürfe die EU nicht über die Köpfe der Menschen hinweg handeln.

Achim Engelberg sieht in einem gemeinsamen Europa eine große Chance. „Viele Probleme sind nur transnational lösbar, zum Beispiel die Einwanderungspolitik.“ Man müsse aber einen geeigneten Handlungsrahmen schaffen.

„Europa wird nicht durch Idealismus, sondern Krisen voran getrieben“, erläuterte Wirsching. Die Eurokrise könne man weder klein reden, noch national lösen. Man müsse sie europäisch betrachten. Im Europa der Regionen sei es wichtig, ein europäisches Interesse zu formulieren, mit dem sich alle identifizieren können. „Europa ist hinreißend“, schwärmte Egon Bahr. „Ich bin Weltbürger, Europäer, Deutscher und Berliner gleichzeitig – wir müssen diejenigen, die diesem skeptisch gegenüberstehen, besser integrieren.“

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Autor*in
Vanessa Jasmin Lemke

war Praktikantin beim vorwärts (2013).

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