Messerattacke auf Bürgermeister in Altena: Wie das Netz die Tat feiert
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Mit „mutmaßlich fremdenfeindlicher Motivation“ wurde Andreas Hollstein angegriffen, sagen Polizei und Staatsanwalt. Der CDU-Bürgermeister der westfälischen Kleinstadt Altena war am Montagabend von einem 56-Jährigen mit einem Messer attackiert und am Hals verletzt worden. Hintergrund ist offenbar die liberale Einstellung Hollsteins in Sachen Flüchtlingspolitik, gegen die sich der mutmaßliche Angreifer gerichtet haben soll. Nach der Messerattacke erhält der Lokalpolitiker im Internet jetzt viel Solidarität, allerdings zeigen viele auch Verständnis für den mutmaßlichen Angreifer.
#Altena: Hass auf Muslime und Migranten
Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gibt es im Sekundentakt neue Meldungen zu dem Fall. Viele Tweets unter den Hashtags #Altena und #Hollstein nutzen den Messerangriff allerdings nur als Aufhänger für ein anderes Thema: die angebliche verschwiegene Gefahr durch ausländische Gewalttäter. Die Medien berichteten doch nur über Altena, weil das Opfer ein prominenter Politiker sei, so der Tenor. „Wenn die Täter aber ‚Merkel-Gäste‘ sind, interessieren sich Medien kaum für die täglichen Zwischenfälle u. Messereien", schreibt ein User. Es sind die üblichen Verschwörungstheorien: Überall Gewalt, die von Flüchtlingen ausgehe, nur dürfe da niemand darüber reden.
Viele Menschen lassen sich im Netz zu unverhohlenen Rechtfertigungen für den Messerangriff hinreißen. Natürlich sei die Tat nicht in Ordnung, schreiben viele – um dann ein „aber“ anzufügen. Oft folgt der Hinweis auf die angebliche Scheinheiligkeit vieler Politiker, auf soziale Probleme und – immer wieder – die angebliche Bedrohung des Landes durch Migranten und Muslime. Dass am Montagabend ein Mensch mit einem Messer verletzt wurde, scheint bei vielen Online-Kommentatoren in den Hintergrund zu treten. Der Angriff auf Andreas Hollstein, im Twitter-Universum ist er für viele nur ein weiterer Anlass, um gegen Muslime und Migranten zu hetzen.
Typische Opferrolle der Rechten
Auf der Facebookseite „AfD deckt auf und fragt nach“ gehen viele Internetnutzer noch einen Schritt weiter: Sie verklären den Messerangriff kurzerhand zur Notwehr. Gerne auch mit einem „aber“ zur Relativierung der Tat. Wie etwa der folgende Post eines AfD-Fans – orthografisch und stilistisch im typischen Facebook-Duktus gehalten: „Ich finde so eine aktion unterste schublade aber es war abzusehen das irgendwann mal die zeit anfängt wo die menschen anfangen sich zu wehren“. Es ist die typische Umkehr des Täter-Opfer-Verhältnisses, wie sie bei Rechten beliebt ist.
Auch der mutmaßliche Attentäter habe sich als Opfer des Systems, einer verfehlten Politik gesehen, zeigen Medienberichte. „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtlinge nach Altena“, soll der Mann seinem Opfer gerufen haben bevor er zustach. Der Hintergrund: Andreas Hollstein hatte sich als Bürgermeister bereit erklärt, mehr Flüchtlingen Schutz zu gewähren als die 18.000-Einwohner zählende Stadt Altena nach dem üblichen Verteilungsschlüssel hätte aufnehmen müssen – rund 370 Menschen fanden in der Folge dort Schutz. Der Bürgermeister ist dadurch so etwas wie das lokalpolitische Gesicht einer liberalen und engagierten Flüchtlingspolitik geworden.
Heiko Maas: Kein Platz für Hetze und Gewalt
Dass Hollstein dafür angefeindet wird, ist nicht neu – jetzt ist die Hetze aber offenbar in rohe Gewalt umgeschlagen. Seit Monaten bekomme er Hassnachrichten per Email, so Hollstein am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Prominente Bundespolitiker sprechen dem Bürgermeister deshalb Mut zu. „Dürfen niemals akzeptieren, dass Menschen attackiert werden, nur weil sie anderen helfen“, twitterte etwa Bundesjustizminister Heiko Maas. „In unserem Land darf kein Platz sein für Hass und Gewalt.“ Auch unter diesem Twitter-Post finden sich reihenweise hasserfüllte Kommentare über Flüchtlinge, Muslime, Politiker und Journalisten.
Aydan Özoğuz, Interationsbeauftragte der Bundesregierung, teilte mit: „Andreas Hollstein hat sich für eine humane Flüchtlingspolitik eingesetzt. Wenn es zutrifft, dass sich der Angreifer dagegen gerichtet hat, muss endlich klar sein: Hetze, Hassparolen und Angstmacherei spalten unser Land.“ Vor allem in den Kommunen seien Helfer und Unterstützer von Flüchtlingen häufig offener Aggression ausgesetzt, so die SPD-Politikerin. „Es kann nicht sein, dass wir es schweigend hinnehmen, wenn Menschen beleidigt und bedroht werden, wenn sie sich für andere einsetzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Demagogen und Rechtspopulisten unser friedliches Zusammenleben und den Zusammenhalt unseres Landes zerstören.“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.