vorwärts.de: Gibt es jetzt einen Weiterbildungsboom?
Ulla Burchardt: Davon kann nicht die Rede sein - leider. Auch wenn es derzeit keine statistisch abgesicherte Übersicht gibt, so halten sich die Arbeitgeber anscheinend noch sehr zurück, die
günstigen Angebote, die wir mit dem Konjunkturpaket gemacht haben, auch zunutzen. Der Mentalitätswandel ist wohl auch von der Krise noch nicht in Gang gesetzt. Tatsächlich gibt es aber wohl
gerade für kleine und mittlere Unternehmen noch immer zu viel komplizierten Bürokratieaufwand - da werden wir gesetzgeberisch ganz schnell noch was entrümpeln müssen. Engpässe gibt es zurzeit vor
allem bei den Anerkennungsverfahren für Bildungsträger, die Qualifizierungsmaßnahmen anbieten wollen.
Wo sehen Sie die größten Defizite auf dem Weiterbildungsmarkt in Deutschland?
Er ist viel zu wenig durchschaubar angesichts der Vielzahl der Angebote und Träger, die Zugänge sind zu kompliziert und die frühe Bildungsbenachteiligung setzt sich auch hier fort. Deswegen
wollen wir Sozialdemokraten auch mehr System in die Weiterbildung bringen und vor allem halten wir eine flächendeckende, unabhängige und ortsnahe Beratung für dringend nötig.
Wie ist die Situation der Menschen, die in der Weiterbildung beschäftigt sind?
Seit Jahren hält der Trend zu prekärer Beschäftigung an. Nur jedes zehnte Beschäftigungsverhältnis in dieser Branche ist unbefristet und sozialversichert, die Gehälter liegen häufig unter
2000 Euro brutto. Immer weiter ausgeweitet wurden Honorartätigkeiten, auch zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben wie Integrationskurse. Sie machen inzwischen fast Dreiviertel der
Beschäftigungsverhältnisse in der Weiterbildung aus. Für 150 000 der insgesamt 650 000 Weiterbildungsarbeiter bedeutet dies "Wanderarbeiter" zu sein und für ein "Butterbrot" zu arbeiten: viele
brauchen bis zu 5 oder 6 Honorarverträge, um bei Stundensätzen von oft unter 15 Euro, im Osten auch unter 10 Euro einigermaßen über die Runden kommen zu können.
Was will die SPD tun, damit es besser wird?
Mit dem Mindestlohn in der Weiterbildung haben wir mit unserem "Bildungsminister" Olaf Scholz zumindest für den Teil der Beschäftigten, die in Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesagentur der
Argen arbeiten, dem freien Fall der Einkommen einen Riegel vorgeschoben. Mit der Reform des Vergaberechts haben wir außerdem die Möglichkeit geschaffen, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
der faire Lohn und die Zahl fester Beschäftigungsverhältnisse bei einem Träger Vergabekriterium sein können - das haben wir alles gegen den Widerstand der Union durchsetzen können.
Nun muss das Innenministerium sich endlich um die Beseitigung der teilweise ruinösen Verhältnisse bei den Integrationskursen kümmern - dort gibt es offensichtlich überwiegend
Scheinselbstständigkeit im Gewande von Honorarjobs. Dringend nötig sind mehr und dauerhafte Weiterbildungsinvestitionen von Unternehmen, Bund, Ländern und Kommunen und, wie der Parteivorstand
beschlossen hat, ein Erwachsenenbildungsfördergesetz. Wir stützen die Forderungen von GEW, Verdi und DGB zur Entprekarisierung -und organisieren mit deren Experten gemeinsam Anfang Juni einen
Kongress zum Thema "Gute Arbeit - Gute Weiterbildung".
Interview: Susanne Dohrn
Ulla Burchardt ist Mitglied des SPD-Parteivorstands und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.