"Olof Palme würde die Marktradikalen mit vollem Einsatz bekämpfen", meint Ingvar Carlsson. Er kannte Palme gut: Als Minister im Kabinett von Palme gehörte er zu dessen engsten Weggefährten. Nachdem Palme 1986 auf offener Straße in Stockholm erschossen wurde, folgte Carlsson ihm ins Amt des Ministerpräsidenten. Jetzt diskutiert er im Konferenzsaal der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin mit Erhard Eppler, einst Bundesminister unter Kanzler Willy Brandt. Palme und Brandt gelten vielen als Symbolfiguren eines "Goldenen Zeitalters der europäischen Sozialdemokratie" (Die Zeit), den 1970er Jahren. Doch hätten sie auch Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit?
Ja, meint Carlsson. Palme habe sich für soziale Sicherheit engagiert und deshalb auch hohe Steuern gefordert, womit er sich viele Feinde gemacht habe. "Dann kamen die Neoliberalen, die alle Veränderungen den Marktkräften überlassen wollten", schimpft Carlsson. Brandt und Palme hätten dagegen "an die Notwendigkeit der Politik, auch im Ökonomischen" geglaubt.
Eppler stimmt zu: "Die Marktradikalen haben sich mit der Finanzkrise furchtbar blamiert". In den 1990er Jahren sei in Deutschland eine neoliberale Welle angekommen, der sogar einige Sozialdemokraten aufgesessen seien. Zu verlockend sei der Irrglaube gewesen, dass freie Märkte unendliches Wachstum produzieren. "Jetzt bohren wir wieder an den Brettern, an denen wir vor 40 Jahren schon gebohrt haben".
Brandt und Palme würden EU stärken wollen
Damals bildete der schwedische Ministerpräsident Palme gemeinsam mit Willy Brandt und Österreichs Kanzler Bruno Kreisky ein sozialdemokratisches Trio, das die internationale Politik prägte. Die drei fühlten sich auch persönlich eng verbunden und stimmten ihre außenpolitischen Initiativen stets miteinander ab. "Im Kampf gegen Apartheid und den Vietnamkrieg, für Menschenrechte und die Vereinten Nationen - in allen diese Fragen pflegte Olaf Palme einen engen Dialog mit Willy Brandt", erzählt Ingvar Carlsson.
Welches Ziel Brandt damals verfolgte, verdeutlicht Eppler mit einem Zitat aus Brandts Regierungserklärung 1969: "Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden, im Innern und nach außen." Dieser Satz sei typisch für Brandts Denken gewesen, meint Eppler. Interesse für den Anderen und gegenseitige Hilfe - das mache gute Nachbarn aus.
Gilt das auch für eine EU in der Krise? "Nationalstaatliche Politik wird es in Zukunft nicht mehr geben", steht für Eppler fest. In einer handlungsfähigen EU liege nach der Finanzkrise die einzige Möglichkeit, die Politik zu rehabilitieren. "Ich glaube, dass auch Olaf Palme sich heute sehr für Europa einsetzen würde", ergänzt Carlsson. Außerdem würde Palme heute die Rolle der Vereinten Nationen stärken wollen und sich dafür einsetzen, dass Länder wie Indien, Brasilien oder Deutschland ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat werden.
Teilnehmer wollen Brandts und Palmes Erbe wahren
Ob man die Ergebnisse des Gesprächs mit der Forderung "mehr Politik wagen" zusammenfassen könne, fragt Moderator Vito Cecere zum Abschluss. Eppler und Carlsson stimmen zu. "Nicht mehr der totalitäre Staat ist die Hauptbedrohung im 21. Jahrhundert", begründet Eppler dies, "sondern der handlungsunfähige Staat."
Bevor sich die Teilnehmer dem Buffet widmen, kommt noch Cordula Drautz zu Wort. Die 30-jährige Vizepräsidentin der International Union of Socialist Youth blickt wehmütig auf die 70er Jahre zurück, die sie selbst gar nicht erlebt hat. Palme und Brandt hätten damals die Möglichkeit gehabt, etwas Neues aufzubauen. Heute seien die Sozialisten in der Defensive: "Das Wohlfahrtsstaatsmodell, das Brandt aus Skandinavien mitgebracht hat, ist in Gefahr", sagt Drautz. Nun sei es die Aufgabe der Jungsozialisten, das Erbe Brandts und Palmes zu wahren.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.