Für einen bundesweiten Volksentscheid
von Ralf-Uwe Beck und Michael Efler
Der Vertrauensverlust in die Parteien und die parlamentarische Demokratie beschämt die Gesellschaft: 79 Prozent der Befragten meinten jüngst bei einer Forsa-Umfrage für den stern, auf die Interessen der Bürger werde kaum noch Rücksicht genommen. Nur 17 Prozent gehen davon aus, dass das Volk wirklich etwas zu sagen habe. Und 43 Prozent antworteten auf die Frage, ob Wahlen die Richtung der Politik bestimmen, mit "Nein".
In den Parteien die Schuldigen zu sehen und sie dafür anzuklagen, wäre leicht, aber auch billig. Es dabei zu belassen, den Zustand nur zu beklagen, wird ihn allerdings nicht bessern.
Der Weg aus der Vertrauensfalle
Aus der Vertrauensfalle kommen wir nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gewicht der eigenen Stimme spüren, wenn sie erleben, was sie bewegen können. Alle paar Jahre ein Kreuzchen auf einem Wahlzettel zu machen, kann nicht genügen. In der Tat gibt es auf allen politischen Ebenen neben den Wahlen Beteiligungsmöglichkeiten. Immer aber bleibt das, was die Menschen einwenden, vorschlagen, kritisieren ... ins Belieben der Entscheider gestellt. Das kann Vertrauen bilden, kann ihm aber auch den Rest geben.
Nur die direkte Demokratie bietet Verbindlichkeit an. Nur mit ihr können die Menschen ihre Anliegen durchsetzen - unabhängig von Regierung und Parlament. Dieses Prinzip einer um die direkte Demokratie angereicherten parlamentarischen Demokratie ist in allen Bundesländern angekommen. In den Kommunen wie auch auf Landesebene können Bürgerbegehren oder Volksbegehren gestartet werden. Werden die Hürden von einer Initiative genommen, hat sie nachgewiesen, dass eine Frage so relevant ist, dass sie dem gesamten Volk zur Entscheidung vorzulegen ist. Dabei bleibt die repräsentative Demokratie das Stand-, die direkte Demokratie ist Spielbein.
Wirkung entfaltet sie aber bereits durch ihr bloßes Vorhandensein. Haben die Bürger die Möglichkeit, notfalls selbst zu entscheiden, werden die Entscheider weniger über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden und mehr mit ihnen reden. So hilft die direkte Demokratie der repräsentativen Demokratie, repräsentativ zu bleiben. Auf diese Weise könnte das leere Vertrauenskonto wieder aufgefüllt werden.
Weder Zaungast noch Bittsteller
Wenn... zwei Bedingungen erfüllt sind. 1. muss die direkte Demokratie auf allen politischen Ebenen genutzt werden können. In Deutschland fehlt der bundesweite Volksentscheid. Wir sind das einzige Land in der Europäischen Union, das noch keine nationale Volksabstimmung erlebt hat. Und 2.: Die direkte Demokratie kann ihre Wirkungen nur entfalten, wenn sie fair geregelt ist. Das gilt für die Länder und Kommunen wie auch für die Bundesebene.
Die Unterschrifts- und Abstimmungshürden müssen so gestaltet sein, dass sie für die notwendige Legitimation sorgen, aber auch bewältigbar sind. Volksbegehren müssen keine Spaziergänge sein, dürfen aber auch nicht automatisch im Misserfolg enden. Die Seele der direkten Demokratie ist das Gespräch. Deshalb sollten die Fristen moderat sein, genug Zeit lassen zum Unterschriftensammeln und eine sich verbreiternde und vertiefende Argumentation. So können sich die Menschen auch komplexen Themen nähern. Vor einem Entscheid sollte zudem ein Infoheft an jeden Haushalt gehen, damit die Menschen sich selbst informieren können - unabhängig von den Medien und Lobbygruppen. Nicht zuletzt sollten alle Themen zugänglich sein, die auch das Parlament behandelt, nicht freilich der Haushalt im Ganzen. Wie in allen Ländern Gesetz, ist es auch auf Bundesebene zwingend, jedes Volksbegehren daraufhin zu überprüfen, ob es verfassungskonform ist. Verstöße gegen das Grundgesetz, gegen Völkerrecht und Menschenrechte dürfen nicht zur Abstimmung kommen.
Die direkte Demokratie ist auf Länderebene längst selbstverständlich, umso unverständlicherist es, dass sie uns auf Bundesebene vorenthalten wird. Nicht nach Zaungast oder Bittsteller sollte das Wort "Bürger" klingen, sondern nach Würde und Respekt. Wer sonst sollte für das Land bürgen als seine Bürgerinnen und Bürger?!
Ralf-Uwe Beck und Michael Efler sind Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie e.V.
Gegen einen bundesweiten Volksentscheid
Gegen einen bundesweiten Volksentscheid
von Gero Fischer
Es ist meiner Meinung nach notwendig, dass die Politik in einem regelmäßigen Austausch mit ihren Bürgern steht, sich mit ihnen verständigt und Entscheidungen erklärt. Ich halte das Volk auch nicht für zu dumm, um wichtige Entscheidungen selbst zu treffen. Trotzdem gibt es für mich vieles, was gegen die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene spricht.
Mit bundesweiten Volksentscheiden würden wir eine völlig andere Kultur der politischen Debatte bekommen. Wie die jüngsten Abstimmungen in der Schweiz gezeigt haben, besteht dabei immer die Gefahr, dass Populisten im Namen des Volkes Erfolge feiern können. Auch die Medien erhalten während eines Entscheidungsverfahrens als Meinungsmacher eine herausgehobene Stellung. Ebenso groß ist die Gefahr, dass finanzstarke Lobbygruppen einen noch größeren Einfluss auf die Gesetzgebung gewinnen. Mit großen Kampagnen können sie bei knappen Entscheidungen den Ausschlag geben. Hinzu kommt die fehlende Transparenz, denn im Unterschied zu Parteispenden muss es nicht öffentlich gemacht werden, wenn Unternehmen einen Verein oder ein Bündnis unterstützten.
Ohne Repräsentanten geht nichts
Gleichzeitig hat auch das "direkt" in der Direkten Demokratie seine Grenzen. Denn wenn das Volk aktiv als Gesetzgeber, und nicht nur als Gesetzesverhinderer auftreten soll, braucht es jemanden, der die Initiative ergreift. In der Regel sind das Bürgerinitiativen, die sich aus einem partikularen Interesse heraus zusammenschließen. In einem System mit Volksgesetzgebung nehmen sie eine entscheidende Rolle ein. Sie setzen das Thema, formulieren ein Gesetz und werben für die nötige Unterstützung. Damit handeln auch sie repräsentativ für die Bevölkerung, allerdings ohne vorherige Legitimation. Dem Wähler, der sich nicht in einer Bürgerinitiative engagiert, bleibt am Ende nur die Entscheidung zwischen Ja und Nein.
Wer aber engagiert sich überhaupt in Bürgerinitiativen? Leider ist es in unserer Gesellschaft nur schwer vorstellbar, dass sich z. B. eine Gruppe von HartzIV-Empfängern zusammenschließt, um eine Volksabstimmung gegen Kürzungen im sozialen Bereich zu organisieren. Bürgerinitiativen kommen in der Regel aus der gut gebildeten Mittelschicht. Es sind Akademikereltern, die sich wie in Hamburg Sorgen machen, dass sich die Bildungschancen ihrer Kinder verschlechtern. Die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden würde vor allem diese Gruppe begünstigen und ihren Einfluss erhöhen.
Sind Volksentscheide demokratisch?
Zugegeben: die Entscheidung, ob ein Gesetz zustande kommt läge letztlich bei der Bevölkerung. Es wäre direkter als ein Gesetz, das der Bundestag beschließt. Per se demokratischer ist es dadurch allerdings noch nicht. Denn ein großes Problem von Volksentscheiden ist die geringe Beteiligung. In den meisten Fällen entscheidet eine gut organisierte Minderheit über die Mehrheit. Beim Hamburger Volksentscheid gegen die Schulreform beteiligten sich zum Beispiel nur 39 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung. Mit den Ja-Stimmen (58 Prozent) wurde ein Gesetz rückgängig gemacht, das zuvor alle Fraktionen in der Hamburger Bürgerschaft einstimmig beschlossen hatten. Besonders demokratisch klingt das nicht.
Auch im Musterland der Direkten Demokratie, der Schweiz, kommt es in den seltensten Fällen zu einer Wahlbeteiligung, die über 50 Prozent liegt. Ob Volksentscheide also zu mehr Interesse für Politik und weniger Politikverdrossenheit führen, ist fraglich. Es mag ein schöner Gedanke sein, dass sich jeder Bürger regelmäßig mit politischen Fragen auseinandersetzt und sich engagiert, die Realität sieht zurzeit leider anders aus.
Gero Fischer ist Redakteur des vorwärts