Der Sozialdemokrat Frank Mentrup will am 2. Dezember Oberbürgermeister von Karlsruhe werden. Kein leichtes Unterfangen: Die Stadt am Oberrhein gilt als schwarze Hochburg. Ein Interview über politische Stilfragen und die Kraft der Polarisierung.
Mit Rot-Grün kennt er sich aus. Als Staatssekretär im Kultusministerium der grün-roten baden-württembergischen Landesregierung hat Frank Mentrup den Wind in den Segeln: Ihm gelang es, auch die Unterstützung der Grünen zu gewinnen.
Mentrups Gegenkandidat, der Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther offenbart derweil ein merkwürdiges Demokratieverständnis: 400 Neumitglieder warben die Christdemokraten – davon viele aus dem Umfeld des Fußballvereins Karlsruher SC, dessen Präsident Wellenreuther ist.
vorwärts.de: Herr Mentrup, vor einigen Tagen hat Rainer Brüderle auf dem Karlsruher FDP-Parteitag eine flammende Rede gehalten: Baden-Württemberg müsse nun ganz stark sein. Es werde schon bald vom grün-roten Joch befreit werden. Haben Sie gelacht?
Frank Mentrup: Und wie. Die FDP erfährt ja auch in Baden-Württemberg am eigenen Leib, dass diese Worte Brüderles überhaupt nicht die Stimmung im Land widerspiegelt. Solche Widerstandsfolklore gegenüber der eigenen Bedeutungslosigkeit ist schon erheiternd.
Sie wollen Karlsruher Oberbürgermeister werden – ist das nicht ein aussichtsloses Unterfangen in einer Stadt, die als CDU-Hochburg gilt?
Aussichtslos? Bei den letzten Kommunalwahlen lagen SPD und Grüne deutlich vor der CDU und bei den Landtagswahlen auch vor Schwarz-Gelb. Das gibt mir Hoffnung, dass man auch bei einer OB-Wahl die schwarze Hochburg schleifen kann. Zumal es in Karlsruhe Lust auf einen Wechsel nach 42 Jahren CDU gibt.
Was sind Ihre Ziele?
Karlsruhe hat sich in vielen Bereichen gut positioniert. Aber im Moment läuft hier noch zu vieles ohne eine übergeordnete kommunalpolitische Strategie. Auch Stadt und Region arbeiten zu sehr nebeneinander her. Hier gibt es ein riesiges gemeinsames Entwicklungspotential.
Sie haben angekündigt, den Dialog mit dem Bürger verbessern zu wollen. Das klingt gut, aber wie soll das in einer Stadt mit 300 000 Einwohnern gehen?
Es wird zu wichtigen Themen Foren für die jeweiligen Fachleute geben und solche, bei denen alle teilnehmen können, die wollen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass man Bürger nach dem Zufallsprinzip auswählt und mit ihnen gemeinsame Strategiegespräche führt. Jeder Einzelne bekäme dann das Gefühl: Ich habe die Chance, direkt angesprochen zu werden. Ddie Politik interessiert sich für mich.
Sie sind von Vornherein bewusst auf die Grünen zugegangen, die Ihnen nun ihre Unterstützung zugesagt haben. War das reine Wahlarithmetik, weil man den in der Stadt verwurzelten CDU-Kandidaten nur mit vereinten Kräften schlagen kann?
Nein, ich bin Mitglied der grün-roten Landesregierung und schon immer ein überzeugter Verfechter von Rot-Grün gewesen. Für Karlsruhe wäre ein von SPD und Grünen getragener OB eine Option, die wie ein Puzzlestück in die Landespolitik passt und darüber hinaus für Karlsruhe einen neuen Weg aufzeigen kann.
Es ist bemerkenswert, dass die Grünen in einer ihrer Hochburgen auf einen eigenen Kandidaten verzichten. Da waren Sie im Vorfeld sicher in einigen Hinterzimmer-Zirkeln, oder?
Es geht hier nicht um irgendwelche Mauschelrunden. So wäre das mit den Parteimitgliedern auch nicht zu machen. So ein Projekt geht nur, wenn Vertrauen da ist. Und das ist über die letzten Monate und Jahre gewachsen, auch durch gemeinsame Arbeit zwischen Rot und Grün im Landtag. Es zeigt sich: Wenn die strategische und die persönliche Ebene stimmt, ist das die optimale Konstellation. Und bei allem, was uns trennen könnte...
...wie zum Beispiel die Frage, ob die Stadt eine neue Rheinbrücke braucht...
Zum Beispiel. Aber ich halte sehr viel von der Nachhaltigkeitsstrategie, vom Ziel, Ökonomisches, Ökologisches und Soziales auszubalancieren. Auf dem engen Raum einer Großstadt geht das nur, wenn bei der Ausweisung eines Industriegebiets nicht der geballte Protest aller Ökologen und bei der Ausweisung eines Naturschutzgebietes nicht der Widerstand der Wirtschaftswelt mobilisiert wird. Ohne Gesamtstrategie wird hier auf allen Feldern der Widerstand schnell organisiert und dann passiert gar nichts. Die Kommunalpolitik steckt dann fest.
In Frankreich ist es selbstverständlich, dass sich Parteien aus dem gleichen Lager absprechen und wechselseitig ihren eigenen zu Gunsten eines aussichtsreicheren Kandidaten zurückziehen.
Stimmt, aber ich sehe darin zunächst mal eine Antwort auf die konkrete Situation hier vor Ort in Karlsruhe. Es bestünde sonst die Gefahr, dass bei einem Kandidaten, den 80 Prozent kennen...
.. wie den CDU-Kandidaten Ingo Wellenreuther, der gleichzeitig Gemeinderat, Bundestagsabgeordneter und KSC-Präsident ist...
...und vielen anderen Kandidaten, die maximal 20 Prozent kennen, viele im ersten Wahlgang zu Hause bleiben und schauen, wer bei der Stichwahl übrig bleibt. Dann könnte die Wahl schon im ersten Anlauf bei niedriger Beteiligung gelaufen sein.
Sie müssen also polarisieren, um als Alternative zu Ingo Wellenreuther kenntlich zu werden?
Genau, es muss eine Polarisierung zwischen zwei Alternativen geben. Und genau das passiert schon, und das schon acht Monate vor der Wahl! In der Öffentlichkeit ist schon von einem Zweikampf die Rede – obwohl de facto vier Kandidaten im Rennen sind. Ich habe übrigens nicht vor, mich im persönlichen Streit mit Ingo Wellenreuther zu profilieren.
Warum das denn nicht? Sind Diskussionen nicht das Wesen von Politik?
Diskussionen schon, persönlicher Streit nicht. Auf vielen Podien wird sicher sehr kontrovers diskutiert werden. Wichtig ist natürlich auch, dass ich den Menschen meine Ziele vermittele, doch noch wichtiger ist, dass sie mir zutrauen, dass ich mit ihnen den Weg gehe, bei dem sie ihre Interessen berücksichtigt fühlen. Ich bin sicher: Die Wahl wird über politische Stilfragen und die direkte Ansprache entschieden.
Bisher hat man nicht den Eindruck, dass die CDU Karlsruhe ihre Stärken in der Kommunikation hat. Wo die SPD die beiden Kontrahenten um die OB-Kandidatur offen diskutieren ließ, gab es bei der CDU keine einzige Debatte – es wurde einfach abgestimmt.
Unser bisheriges Verfahren hat uns einen moralischen Vorteil verschafft, weil wir sehr transparent und sachorientiert vorgegangen sind. Auch dadurch haben wir es geschafft, dass die Frage „Mentrup oder Wellenreuther“ schon acht Monate vor der Wahl öffentlich so lebhaft diskutiert wird.
Lebhaft diskutiert wurde auch der Umstand, dass die CDU just vor der innerparteilichen Abstimmung binnen weniger Wochen 400 neue Mitglieder begrüßen durfte – davon viele aus dem Umfeld des Fußball-Zweitligisten Karlsruher SC, dessen Präsident Herr Wellenreuther ist.
Genau das meine ich. Bereits in der Kandidatenfindung gab es zwischen SPD und Grünen einerseits und der CDU andererseits Unterschiede, die gegensätzlicher nicht sein konnten. Da gab es einerseits Transparenz und Diskussion nach innen und außen in bester demokratischer Tradition, andererseits schien man sich am russischen Wahlkampf orientiert zu haben. Ein Hauch von Putinismus wehte ausgerechnet durch Karlsruhe, durch die Hauptstadt des Rechts!
Interview: Johannes Wiesemann