Inland

Lohndumping schadet der Branche

von Carl-Friedrich Höck · 8. Mai 2013

„In unserer Branche wird der Wettbewerb über die Lohnkosten geführt.“ So schilderte es ein Leipziger Callcenter-Mitarbeiter anonym in der April-Ausgabe des vorwärts. Sieben Euro verdient er pro Stunde. Wenn er Vollzeit arbeitet und zusätzliche Boni erhält, bleiben ihm im Monat rund 1000 Euro. Etwa ein Viertel der Belegschaft müsse den Lohn vom Arbeitsamt sogar auf ALG II-Niveau aufstocken lassen, schätzt er.

Eine andere Callcenter-Beschäftigte aus Berlin berichtete dem vorwärts von ähnlichen Verhältnissen. Ihr Grundlohn beträgt 7,50 Euro – zu wenig zum Leben. Auch in ihrem Callcenter müssten Viele ihren Lohn trotz Vollzeitarbeit aufstocken, sagt sie.

Die beiden sind keine Einzelfälle. Laut einer Auskunft der Bundesregierung müssen in Deutschland knapp 5.500 sozialversicherungspflichtig Angestellte in Callcentern zusätzlich Hartz IV-Gelder beantragen (Stand Juni 2012). Das gleiche gilt für knapp 500 weitere Angestellte mit Mini-Jobs. Fast 33 Millionen Euro kostet es die Steuerzahler jährlich, diese niedrigen Löhne über die staatliche Grundsicherung zu subventionieren. Beuten Callcenter ihre Mitarbeiter also aus?

Viele Unternehmen sind nicht tarifgebunden

Der Call Center Verband Deutschland (CCV), in dem sich zahlreiche Unternehmen der Branche zusammengeschlossen haben, widerspricht. Eine Gehaltsstudie komme zu dem Ergebnis, „dass die durchschnittlichen Agenten-Gehälter über alle Organisationsarten hinweg bei 10,71 Euro pro Stunde liegen“, sagt CCV- Präsident Manfred Stockmann. Doch auch er bestreitet nicht, dass es in einzelnen Callcentern Lohndumping gibt.

Maik Brandenburger von der Kommunikationsgewerkschaft DPVKOM differenziert: „Es gibt die externen Dienstleister und die ‘betriebseigenen’ Callcenter, die zu Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen gehören. Dort sind die Verdienste in der Regel höher.“ Der Hintergrund: Weil es keinen Arbeitgeberverband gibt, gibt es auch keinen allgemeingültigen Tarifvertrag für die Branche. Lediglich mit einzelnen Unternehmen wie etwa der Telekom kann die Gewerkschaft über Tariflöhne für die unternehmenseigenen Callcenter verhandeln. „Ein Mindestlohn ist absolut notwendig“, meint deshalb Maik Brandenburger.

Parteien sind beim Mindestlohn uneinig

Von der Regierung erhält die Kommunikationsgewerkschaft dabei wenig Rückendeckung. Die CDU konnte sich lediglich auf branchenspezifische Lohnuntergrenzen verständigen, die durch eine noch zu bildende Tarifkommission festgelegt werden sollen. Der Haken: Diese Tarifkommission soll sich aus Vertretern der Gewerkschaften und von Arbeitgeberverbänden zusammensetzen. Da es in der Callcenter-Branche aber keinen Arbeitgeberverband gibt, stellt sich die Frage, wer die Lohnuntergrenze überhaupt aushandeln soll.

SPD und Grüne ziehen dagegen mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro in den Wahlkampf. „Berufstätige Frauen und Männer können sonst die Familie nicht ernähren, ihre Miete nicht zahlen, nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen“, heißt es im SPD-Wahlprogramm. Für Maik Brandenburger sind 8,50 Euro sogar noch zu niedrig angesetzt. Für die Callcenter-Branche fordert die DPVKOM einen Mindestlohn von 9,50 Euro.

Ein erster Anlauf scheiterte

2011 versuchte die Gewerkschaft schon einmal, einen Mindestlohn durchzusetzen. Das Mindestarbeitsbedingungengesetz bietet die Möglichkeit dazu, wenn in einer Branche „soziale Verwerfungen“ festgestellt werden und gleichzeitig weniger als 50 Prozent der Arbeitnehmer an Tarifverträge gebunden sind.

Über ihren Dachverband dbb beantragte die DPVKOM als erste und bislang einzige Gewerkschaft, von dieser Option Gebrauch zu machen. Dem zuständigen Hauptausschuss für Mindestarbeitsentgelte des Bundesarbeitsministeriums legte die Gewerkschaft
Nachweise vor, dass in manchen Callcentern rund 6,50 Euro, in einem sogar nur 5,75 Euro pro Stunde bezahlt werden. Trotzdem wies der Ausschuss das Anliegen zurück. Soziale Verwerfungen seien nicht festzustellen, urteilte er.

Nun hofft die DPVKOM, dass die Unternehmen endlich einen Arbeitgeberverband gründen, damit es zu Tarifverhandlungen kommen kann. Auch viele Arbeitgeber halten das mittlerweile für notwendig. „Wir erleben, dass die Anforderungen der Auftraggeber steigen, die Tätigkeit immer anspruchsvoller wird und die richtigen Mitarbeiter immer schwieriger zu finden sind“, sagt Manfred Stockmann vom CCV. Wenn der Wettbewerbsdruck zu Lohndumping führe, schade dass der gesamten Branche. 

Der Gründungsprozess stockt

2011 hat der Branchenverein CCV beschlossen, die Gründung eines Arbeitgeberverbands voranzutreiben. Doch das Ziel scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Derzeit würden intensive Gespräche geführt, sagt CCV-Präsident Stockmann, aber es sei ein zeitraubendes und kompliziertes Unterfangen. „Für die Allgemeinverbindlichkeit einer tariflichen Lohnuntergrenze brauchen wir die Mehrheit der Arbeitnehmer organisiert in einem Tarifvertrag. Aber da beginnen schon die Schwierigkeiten: Wer ist denn Teil der Callcenter-Branche?“ Solche Fragen juristisch eindeutig zu klären sei aufwändig, schildert Stockmann das Problem.

Die von Dumpinglöhnen Betroffenen müssen also weiter warten und hoffen. Hinnehmen will die DPVKOM das nicht. „Wir brauchen Regelungen, und die brauchen wir jetzt“, drängt Maik Brandenburger.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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