Inland

„Liefern am Limit“: Fahrradkuriere kämpfen für Arbeitnehmerrechte

Viele Fahrradkuriere arbeiten unter schlechten Bedingungen. Die Initiative „Liefern am Limit“ setzt sich für ihre Rechte ein. Sie fordert, endlich die Gesetze an die Bedingungen der neuen Arbeitswelt anzupassen.
von Angelina Sortino · 7. September 2018
Kurier des Lieferdienstes „Deliveroo“
Kurier des Lieferdienstes „Deliveroo“

In vielen Großstädten sind die Fahrradkuriere von Lieferservices wie „Deliveroo“, „Lieferando“ und „Foodora“ mittlerweile ein fester Bestandteil des Stadtbildes geworden. Wie viele andere Arbeitnehmer wünschen auch sie sich faire Arbeitsbedingungen und eine Mitarbeitervertretung.

Im Mai musste der letzte Betriebsrat gehen

In Köln haben die Kuriere des Essenslieferanten „Deliveroo“ deshalb im Februar 2018 einen Betriebsrat gegründet. Von „Deliveroo“ hieß es damals, man unterstütze die Gründung eines Betriebsrates. Allerdings entschied sich das Unternehmen bei keinem der fünf Betriebsräte den Arbeitsvertrag zu verlängern, als diese ausliefen. So verließ schon im Mai 2018 Orry Mittenmayer als letzter Betriebsrat das Unternehmen.

„Wir haben erfahren, dass in Köln mittlerweile eigentlich gar keine Fahrer mehr fest bei Deliveroo angestellt sind. Sie haben komplett auf Freelancer umgestellt“, berichtet Orry Mittenmayer dem „vorwärts“. Durch die Umstellung auf freie Mitarbeiter lagert das Unternehmen Risiken wie Krankheitstage von Arbeitnehmern aus. Auch einen Leerlauf während der Arbeitszeit bekommen Freelancer nicht vergütet. Sie werden pro Lieferung bezahlt.

Ein Zeichen setzen

Doch Orry Mittenmayer wehrt sich. Gemeinsam mit anderen Fahrradkurieren hat er die Initiative „Liefern am Limit“ ins Leben gerufen, die eng mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten zusammenarbeitet. Die Initiative versucht, die Öffentlichkeit, aber auch die Politik, auf die prekären Arbeitsbedingungen vieler Kuriere aufmerksam zu machen. „Wir müssen unsere Reichweite auf jeden Fall noch verdoppeln, damit wir Druck aufbauen können um etwas zu verändern“, sagt Mittenmayer.

Gegen seinen alten Arbeitgeber „Deliveroo“ ist Orry Mittenmayer vor Gericht gezogen. Er möchte sich zurück in seinen alten Job und eine unbefristete Beschäftigung klagen. Bereits zwei Mal habe ihm „Deliveroo“ in einem Vergleich Geld angeboten, wenn er im Gegenzug auch eine Schweigeklausel unterschreiben würde. Bei einem Gütetermin am 5. September kam es aber wieder nicht zu einer Einigung. „Die waren total überrascht, dass ich wieder abgelehnt habe. Sie haben in den Medien gehört, dass ich studieren will und dachten, ich würde das Geld sicher brauchen“, berichtet Mittenmayer. Er habe jedoch nicht vor aufzugeben, sondern wolle für sein Ziel falls nötig durch alle Instanzen gehen. „Ich möchte, dass mein Fall ein juristisches und politisches Zeichen setzt.“

Plattformökonomie verändert den Arbeitsmarkt

Die Fragen des „vorwärts“ an „Deliveroo“ blieben bisher unbeantwortet. Das Unternehmen möchte sich wohl weder zum Prozess, noch dazu äußern, dass keiner der ehemaligen Betriebsräte weiterbeschäftigt wurde.

Von der Politik fordern Mittenmayer und seine Mitstreiter von „Liefern am Limit“, dass das Betriebsverfassungsgesetz aktualisiert und an die Bedingungen der Plattformökonomie angepasst wird. Mittenmayer weiß: „Dadurch, dass Arbeitnehmer ihre Kollegen häufig nicht mehr an einem Arbeitsplatz treffen, wird es sehr viel schwerer sich zu organisieren. Gerade dann, wenn uns die Unternehmen den Zugang zu den Kommunikationskanälen verwehren.“ Außerdem müsse die sachgrundlose Befristung abgeschaffte werden. Und es müsse es klare Regelungen gegen Scheinselbständigkeit geben.

SPD unterstützt Kurierfahrer

Die SPD unterstützt die Forderungen der Kurierfahrer. „Die SPD wird Befristungen stark zurückdrängen. Das haben wir im Koalitionsvertrag durchgesetzt. Dort, wo Fahrradkuriere mit befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt sind, werden wir diese Möglichkeiten einschränken“, erklärte Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD- Bundestagsfraktion, gegenüber dem „vorwärts“. Langfristig wolle die SPD sachgrundlose Befristungen ganz abschaffen und die Sachgründe für Befristungen einschränken. Auch die Plattformökonomie will die SPD stärker regulieren: „Bei Online-Plattformen wird es immer schwieriger, den eigentlichen Firmensitz zu definieren und damit wird auch die Organisation von Mitbestimmung ausgebremst. Auch hier arbeitet das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil an Lösungen.“

Für Privatpersonen, die die Kurierfahrer in ihrer Stadt unterstützen möchten, hat Orry Mittenmayer ebenfalls einige Tipps. Lieferdienste wie Deliveroo zu boykottieren, gehört auf keinen Fall dazu. „Wir wollen keine Arbeitsplätze zerstören, sondern die Bedingungen verbessern“, so Mittenmayer. Trinkgeld sei natürlich immer willkommen, man könne aber auch anders etwas Gutes tun. „An heißen Tagen freut uns ein Glas Wasser sehr. Wenn es kalt ist, wäre es nett, wenn man sich kurz in der Wohnung aufwärmen darf. Man sollte einfach nicht vergessen, dass es Menschen sind, die einem das Essen liefern.“

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Angelina Sortino

studiert Communication, Culture and Management und ist Praktikantin beim „vorwärts“.

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