Inland

Kohleausstieg im Osten: „Debatte geht am Kern der Sache vorbei“

Mit dem „vorwärts“ spricht die sächsische SPD-Co-Vorsitzende Kathrin Michel über die Pläne zum vorgezogenen Kohleausstieg im Osten und die Situation von Geflüchteten in der Lausitz - und erklärt, warum Bautzen in dieser Sache besser ist als sein Ruf.
von Sebastian Thomas · 6. April 2023
Ein früheres Aus für den Kohleabbau in Ostdeutschland sieht die sächsische SPD-Vorsitzende Kathrin Michel kritisch. Für sie sind zwingende Voraussetzungen für einen Ausstieg noch nicht gegeben.
Ein früheres Aus für den Kohleabbau in Ostdeutschland sieht die sächsische SPD-Vorsitzende Kathrin Michel kritisch. Für sie sind zwingende Voraussetzungen für einen Ausstieg noch nicht gegeben.

Die Grünen wollen auch in Ostdeutschland früher aus der Kohle aussteigen. Brandenburg und Sachsen kritisieren die Pläne. Sie als Co-Vorsitzende der sächsischen SPD: Wie beurteilen Sie den Vorstoß?

Die ausschließliche Diskussion über den Zeitpunkt des Kohleausstieges geht völlig am Kern der Sache vorbei. Wir jedenfalls werden es nicht dulden, dass dieser Kampf um Jahreszahlen auf dem Rücken der Beschäftigten in den Strukturwandelregionen ausgetragen wird. Die Frage ist nicht, ob wir 2030 oder 2038 aus der Kohle aussteigen.

Sondern?

Wie gestalten wir den Ausstieg schnell, sicher und sozial? Die zwingenden Voraussetzungen sind Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und ein gelungener Strukturwandel. Dazu müssen wir massiv in die erneuerbaren Energien investieren, Speicherkapazitäten schaffen und die Netze ausbauen. Die Ausschreibungen für wasserstofffähige Gaskraftwerke müssen schnellstens auf den Weg gebracht werden.

Der Strukturwandel wird aber nur gelingen, wenn wir auch massiv in die Infrastruktur investieren. Der Osten muss zwingend per Pipeline an das Wasserstoffnetzwerk angeschlossen werden und es ist höchste Zeit, dass endlich die versprochenen Schienenprojekte umgesetzt werden.

Also: Wir müssen planen, bauen, investieren, neue Arbeitsplätze schaffen. Der Fortschritt in diesen Punkten wird darüber entscheiden, wann wir aus der Braunkohleverstromung aussteigen können. Das haben wir sowohl gesetzlich als auch im Koalitionsvertrag vereinbart.

In der Lausitz arbeiten viele Menschen in der Kohle. Wie kann ein Übergang gelingen?

Wichtig ist es zum einen, dass wir weiterhin gute und gut bezahlte Industriearbeitsplätze in der Lausitz haben. Die Lausitz muss eine Energieregion bleiben. Wir setzen da voll auf erneuerbare Energien. Andererseits erleben wir überall einen Mangel an Arbeits- und Fachkräften. Hier braucht es kluge Ansätze, damit auch KMUs und Handwerksbetriebe vom Wandel profitieren.

Die Denke ist oft, wenn ein Leuchtturm in der Region verschwindet, ist es die Aufgabe der Politik, für einen neuen zu sorgen und dann ist alles wieder in Ordnung - das ist kein Strukturwandel. Die Politik schafft die Rahmenbedingungen, damit sich Firmen ansiedeln können. Da geht auf der sächsischen Seite der Lausitz noch mehr.

Das macht Brandenburg besser. Ein gutes Beispiel ist Cottbus mit dem Carl-Thiem-Klinikum (ein akademisches Lehrkrankenhaus der Berliner Charité, Anm. d. Red.) und der Brandenburgisch-Technischen Universität. Dann ist in der Stadt noch das Bahnausbesserungswerk der DB mit über 1.000 Arbeitsplätzen.

Solche großen Unternehmen sind in Sachsen zwar auch angesiedelt, nur eben nicht in der Lausitz. Die sind eher im Silicon Saxony (ein Branchenverband, der sächsischen Mikroelektronik-, Halbleiter-, Photovoltaik- und Softwarebranche, Anm. d. Red.) rund um Dresden. Das verschärft den Fachkräftemangel in ländlichen Regionen zusätzlich.

Neben dem Strukturwandel ist das Thema Geflüchtete im Osten Deutschlands auch immer ein heiß diskutiertes Thema. Wie sieht die Lage im Landkreis Bautzen momentan aus?

Aktuell haben wir 1.300 Geflüchtete zentral und weitere 339 dezentral untergebracht. Das heißt, alle Menschen, die momentan bei uns sind, werden versorgt. Viel geräuschloser als es die Öffentlichkeit hier und da wahrnimmt. Wir haben drei Orte, an denen sich die Unterbringung konzentriert.

Das sind Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz. Dort stehen große Unterkünfte für Geflüchtete zur Verfügung. Speziell in Bautzen haben wir aktuell 348 Menschen zentral und 116 dezentral einquartiert. In Hoyerswerda sind es 561 und 120 Geflüchtete. Damit sind wir für unsere Gegend an der Kapazitätsgrenze.

Gibt es im Landkreis noch irgendwo anders die Möglichkeit Geflüchtete unterzubringen?

Vor nicht allzu langer Zeit gab es Überlegungen, ob man die  Menschen dezentral beziehungsweise  in den ländlichen Gebieten unterbringt. Da kommt die besondere Struktur des Landkreises zum Tragen: Man hat die drei großen Städte und danach recht viele kleinere Gemeinden und Dörfer.

Das macht es schwierig, weil sich in den Dörfern zwar im Einzelfall Personen finden, die geflüchtete Familien aufnehmen. Doch rein von der Betreuungsstruktur schafft man es kaum, überall dezentrale Helfer*innen zur Verfügung zu stellen, wenn in jedem Ort ein*e Geflüchtete*r oder eine ganze Familie wohnt. Dazu kommt: Der ÖPNV auf dem Land ist nicht gut ausgebaut, das schränkt die Mobilität enorm ein.

Und in Bautzen selbst?

In der Stadt gibt es ein weites Spektrum über ganz viele Initiativen hinweg, die sich seit 2015 um Geflüchtete kümmern, manche ganz speziell um Frauen und Kinder. Viele leisten ein hohes Maß an Unterstützung, aber nach außen werden andere Bilder gesendet. Die leise Mehrheit hat lauten Demonstrant*innen mit ihren Rufen 'Wir wollen keine Neuen hier haben' zu viel Raum gegeben. Das muss sich ändern.

Im Februar war es ein Jahr her, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Die Menschen flohen nach Berlin und wurden dann auf das Bundesgebiet verteilt: Wie wurden sie in der Region aufgenommen?

Es war unaufgeregt. Es wurde ganz pragmatisch überlegt, wo sind Plätze frei und wo könnte man die Menschen unterbringen? Meine Mitarbeiterin, die für mich in Hoyerswerda das Büro leitet, stammt selbst aus Russland, ist aber schon seit 2010 in der Bundesrepublik.

Gemeinsam mit dem Oberbürgermeister von Hoyerswerda haben sie nicht lange überlegt und noch vor der offiziellen Verteilung fünf Busse mit Geflüchteten nach Hoyerswerda geholt. Sie haben mit vielen Engagierten einen Ort zur Verfügung gestellt und die Menschen ohne Probleme aufgenommen.

Zu diesem Zeitpunkt hat sich die sächsische Landesregierung noch überlegt, wie sie das genau machen wollen. So kann es funktionieren, wenn es Personen gibt, die sich engagieren und mehr schaffen, als auf dem Papier steht.

Bei welchen Problemen fragt man Sie um Hilfe?

An mich persönlich werden regelmäßig Fälle herangetragen, dass Berufsabschlüsse von Geflüchteten nicht oder zu spät anerkannt werden. Ich habe keinen Vergleich zu anderen Bundesländern, doch ich höre immer wieder, dass es in Sachsen besonders lange dauert. Zum Beispiel kam jemand zu mir und erzählte, er kenne einen ausgebildeten Zahnarzt und würde ihn gerne in seiner Praxis arbeiten lassen.

Das Problem sei die sächsische Bürokratie, denn der geflüchtete Zahnarzt bekomme seinen Abschluss nicht anerkannt. Wenn wir qualifizierte Zuwanderung von Fachkräften ernst meinen, müssen wir unbedingt besser und schneller werden sowie Mechanismen entwickeln, die einerseits natürlich deutsche Berufsabschlüsse schützen, aber auch auswärtige Abschlüsse anerkennen und zulassen.

In Sachsen hat die CDU im Bautzener Kreistag im vergangenen Jahr mit der AfD gestimmt. Dazu kommt die Weihnachtsbotschaft des Landrats, in der er meint, der soziale Frieden werde gestört, wenn Geflüchtete unter anderem in Turnhallen untergebracht werden. Nun gibt es laut Ihrer Aussage viele Ehrenamtliche und Initiativen im Landkreis, die sich um Geflüchtete kümmern. Wie passt das zusammen?

Momentan spiegelt sich nach meinem Empfinden das große ehrenamtliche Engagement für Geflüchtete nicht in den Wahlergebnissen auf kommunaler Ebene wider. Viele Leute machen eher das Kreuz bei der AfD und dann sitzen die Gewählten im Stadtparlament – übrigens nicht nur in Bautzen.

Dann machen sie entweder nichts oder treffen Entscheidungen, die sehr plakativ sind und eine gewisse Außenwirkung erzielen. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass all diejenigen gestärkt werden, die so viel ehrenamtlich tun und das nicht nur im Zusammenhang mit Geflüchteten. Damit genau diese große Masse der Bevölkerung nach außen sichtbarer wird. Die Botschaft ist klar: Bautzen ist nicht braun, sondern bunt!

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