Inland

Klingbeil: „Keine Selbstjustiz in diesem Land“

Rechtsradikale haben am Sonntag Menschen auf offener Straße angegriffen, scheinbar aus Rache für eine Messerstecherei. Aus der SPD kommen klare Reaktionen.
von Lars Haferkamp · 27. August 2018
Geräumtes Straßen auf demChemnitzer Stadtfest
Geräumtes Straßen auf demChemnitzer Stadtfest

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte nach der Sitzung des SPD-Vorstands im Willy-Brandt-Haus, man habe „erschreckende Bilder“ aus Chemnitz gesehen. Die Partei sei in Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen. Für die SPD sei klar, es dürfe „keine Selbstjustiz in diesem Land“ geben. Nun sei von Seiten der Behörden Aufklärung nötig. Klingbeil forderte, Bundesinnenminister Horst Seehofer „muss sich äußern“ zu den Ereignissen von Chemnitz, „er kann sich nicht wegducken“. Der SPD-Generalsekretär kritisierte in diesem Zusammenhang auch die CDU in NRW und Sachsen, die offensichtlich „Probleme mit dem Rechtsstaat“ habe.

Nervöse Zeiten

Martin Dulig, Vorsitzende der SPD Sachsen und Ostbeauftragter der Partei, sagte in einer Pressemitteilung: „Selbstjustiz, Mutmaßungen und Gerüchtemacherei sind nach der tödlichen Messerattacke fehl am Platz.“ Er betonte, das Gewaltmonopol liege beim Staat „und nicht bei denjenigen, die meinen, auf der Straße Selbstjustiz walten lassen zu müssen. Solchen selbsternannten Heimatschützern ist nicht an Aufklärung gelegen, sie wollen vielmehr Ängste schüren und für sich Kapital aus der Situation schlagen.“ Er appellierte daran, sich gegen „rechte Populisten und Extremisten“ zur Wehr zu setzen, die „die Gunst der Stunde nutzen“. Dulig gedenke der Hinterbliebenen des Opfers und den Verletzten, die Straftat „muss jetzt mit aller Konsequenz und ohne Vorverurteilungen und Mutmaßungen aufgeklärt werden.“

Der Aufmarsch löste heftige Reaktionen in den sozialen Medien aus, zahlreiche Politiker äußerten sich auf Twitter. Michael Roth, Staatsminister für Europa, rief mit deutlichen Worten zum Widerstand auf:  

Die Generalsekretärin der Sachsen-SPD Daniela Kolbe zitierte Herbert Grönemeyer, der am Freitagabend überraschend auf einem Festival gegen Rechts in Mecklenburg-Vorpommern aufgetreten war: 

Für Aufregung sorgt der Tweet des AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier, der öffentlich zur Selbstjustiz aufruft: „Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ‚Messermigration’ zu stoppen“, schreibt er.

Rechter Aufmarsch

Hunderte Rechte sind am Sonntagnachmittag durch die Chemnitzer Innenstadt marschiert. Dabei griffen sie Menschen an, die sie offenbar für Migranten hielten. Hintergrund des Aufmarsches war eine Auseinandersetzung in der Nacht zu Sonntag „zwischen mehreren Personen unterschiedlicher Nationalitäten“, heißt es in einer Pressemitteilung der sächsischen Polizei. Ein 35-Jähriger wurde mit einem Messer angegriffen und starb im Krankenhaus an seinen Verletzungen.

Als Reaktion auf diesen Vorfall hätten sich am Sonntag gegen 15 Uhr zunächst rund 100 Personen in der Innenstadt versammelt. Einem weiteren Aufruf im Internet sei eine zweite Versammlung gegen 16.30 Uhr gefolgt, „geschätzte 800 Personen“ seien daraufhin durch die Innenstadt gezogen. Laut der „Freien Presse“ habe der rechte Fußball-Fanclub „Kaotic Chemnitz“ dazu aufgerufen. „Lasst uns zusammen zeigen, wer in dieser Stadt das Sagen hat“, lautete er Medienberichten zufolge.

Videos auf Twitter zeigen Szenen vor Ort: Die Rechtsextremen warfen Flaschen in Richtung der Polizeibeamten und durchbrachen Polizeiketten, die sie am weiterziehen hindern wollten. Sie pöbelten gegen Menschen, die sie offenbar nicht als Deutsche ansahen, einige Teilnehmer des Aufmarsches traten auf Personen ein, „Wir sind das Volk“-Rufe waren zu hören. Erst nach einer Stunde trafen weitere Beamte an zur Unterstützung ein. Zu diesem Zeitpunkt war das 875-Jahrfest, das in Chemnitz stattfand, aus Sicherheitsbedenken bereits abgebrochen worden, wie der Veranstalter später bekanntgab.

Weitere Demonstrationen

Im Netz kursiert ein weiterer Aufruf für einen erneuten Aufmarsch der Rechten am Montagabend. Als Reaktion darauf und auf die Geschehnisse am Sonntag haben unter anderem das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ und „Chemnitz Nazifrei“ zu Gegendemonstrationen und antirassistischen Kundgebungen in Chemnitz aufgerufen. Die Jusos und Jugendorganisationen weiterer Parteien wie die Grüne Jugend und die Linksjugend schlossen sich bereits diesen Aufrufen an.

Deutliche Kritik an der Politik übt nach den Ereignissen von Chemnitz der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Oliver Malchow: „Die Politik hat beim Thema Innere Sicherheit versagt.“ Nun räche sich der massive Personalabbau bei der Polizei auf drastische Weise. Jetzt gelte es mit aller Konsequenz dem Eindruck zu begegnen, der Staat könne sich nicht gegen einen wütenden Mob wehren. „Wir haben in Deutschland fast nur noch eine Einsatz-Notfallpolizei. Die Personalknappheit in vielen Dienststellen führt dazu, dass meine Kolleginnen und Kollegen nur noch von Einsatz zu Einsatz gejagt werden“, kritisierte Malchow am Dienstag in Berlin. Präventive Aufgaben wie Streifenfahrten blieben immer häufiger auf der Strecke.

Polizei warnt vor Selbstjustiz

Der GdP-Chef warnt vor „Aufrufen, die Sicherheit selbst in die Hände zu nehmen“. Er beobachte Tendenzen zunehmender Selbstjustiz. Der Staat müsse mit Polizei und Justiz seine Bürger schützen können. Entstehe jedoch der Eindruck, dass der Staat und seine Behörden dies nicht mehr leisten könnten, sei der Weg zu Bürgerwehren und Lynchjustiz nicht mehr weit.

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