Inland

Kinderschutzbund: Worauf es bei der Kindergrundsicherung ankommt

Kinder werden in Deutschland an vielen Stellen benachteiligt, kritisiert die Präsidentin des Kinderschutzbunds, Sabine Andresen. Umso wichtiger seien Kinderrechte im Grundgesetz und eine Kindergrundsicherung, die wirklich Armut reduziert.
von Kai Doering · 31. Mai 2023
Jedes Kind und jeder Jugendliche muss sich darauf verlassen können, auch in einer Krise nicht einfach vergessen zu werden, sagt die Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes, Sabine Andresen.
Jedes Kind und jeder Jugendliche muss sich darauf verlassen können, auch in einer Krise nicht einfach vergessen zu werden, sagt die Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes, Sabine Andresen.

Wie ist es um die Lage der Kinder in Deutschland bestellt?

Kinder in Deutschland sind keine homogene Gruppe. Es gibt 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche, die von Armut betroffen sind. Um sie ist es nicht gut bestellt, denn Armut wirkt sich auf nahezu alle Lebensbereiche aus. Der Kinderschutzbund fordert deshalb mit vielen anderen eine wirksame Bekämpfung von Kinderarmut. Auch die Folgen der Covid-19-Pandemie haben deutliche Spuren bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen. Noch immer ist ein hoher Anteil psychisch belastet und bräuchte deutlich mehr Unterstützung, die sie aber nicht oder nur sehr schleppend erhalten. Positiv empfinde ich, dass immer mehr Mütter und Väter versuchen, sich an den Bedürfnissen ihrer Kinder zu orientieren. Sie leisten viel, damit es Kindern und Jugendlichen in Deutschland gut geht.

Dass Kinder und Jugendliche die Haupt-Leidtragenden der Corona-Pandemie waren, ist mittlerweile nahezu gesellschaftlicher Konsens. Wie haben sie diese Zeit erlebt?

Als Corona 2020 nach Deutschland kam, waren wir alle überfordert und wussten nicht, was diese Pandemie für unser Leben bedeutet. Insofern möchte ich niemandem Vorwürfe machen, auch wenn sich manche Entscheidungen im Nachhinein als falsch herausgestellt haben. Was mich früh gestört hat, war die Kommunikation über junge Menschen. Sie wurden sehr schnell als Regelbrecher stigmatisiert, nur weil sie sich draußen aufgehalten und dort mit Freunden getroffen haben. Niemand hat damals einen Gedanken daran verschwendet, dass es für viele Kinder und Jugendliche gute Gründe gibt, nicht zu viel zuhause zu sein, Stichwort häusliche Gewalt. Es hat sich auch niemand gefragt, was es für Kinder und Jugendliche bedeutet, wenn ihr Alltag von einem Tag auf den anderen völlig auf den Kopf gestellt ist. Es hat zu lange gedauert, dass in der Pandemie ihre Bedürfnisse, aber auch Ängste in den Blick genommen werden. So haben Kinder und Jugendliche die Erfahrung gemacht, dass sie wenig zählen und vieles, was sie betrifft, vom Zufall abhängt.

Sind daraus die richtigen Schlüsse gezogen worden?

Nein. Bisher haben wir leider keine gute Aufarbeitung dieser Zeit betrieben. Jedes Kind und jeder Jugendliche muss sich darauf verlassen können, auch in einer Krise nicht einfach vergessen zu werden. Wir brauchen dringend ein krisenfestes Schutzkonzept, damit Kinder und Jugendliche wissen, was sie tun und an wen sie sich wenden können, wenn etwa Schulen geschlossen werden. Da wünsche ich mir eine bessere Auswertung und Aufarbeitung. Auch eine Aufarbeitung der psychischen Folgen dieser Zeit steht noch aus.

Zuletzt haben mehrere Fälle von Kindern für Schlagzeilen gesorgt, die andere Kinder gequält oder sogar getötet haben. Hat Sie das überrascht?

Jeder dieser Fälle erschüttert sehr. Grausamkeiten unter Kindern sind aber kein neues Phänomen. Wichtig ist, sich den Einzelfall anzusehen und die Hintergründe zu analysieren. Die Frage ist, welche Antworten wir als Gesellschaft darauf geben. Wie befähigen wir Pädagoginnen und Pädagogen, präventiv gegen Gewalt vorzugehen? Wie holen wir Eltern mit ins Boot? All das ist wichtig, um solche Gewalttaten bereits im Vorfeld zu verhindern.

Welche Stellung haben die Rechte von Kindern und Jugendlichen überhaupt in unserer Gesellschaft?

Wenn wir Kinder und Jugendliche selbst fragen, ist ein großer Teil der Ansicht, dass ihre Rechte von Erwachsenen nur wenig anerkannt werden. Besonders schlecht kommt dabei die Politik weg. Es gab  mehrfach den Vorstoß, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Ich wünsche mir sehr, dass es bald dazu kommt. Das wäre mehr als nur Symbolpolitik. Und es würde auch nicht die Rechte von Eltern schwächen, sondern ihnen erlauben, gemeinsam mit ihren Kindern die Umsetzung dieser Rechte einzufordern. Auch das Recht auf ein Aufwachsen ohne Armut gehört aus meiner Sicht dazu.

Die Ampel hat sich vorgenommen, eine Kindergrundsicherung einzuführen. Nun gibt es aber Streit ums Geld. Wie bewerten Sie das?

Die Kindergrundsicherung muss so ausgestaltet sein, dass sie wirklich Armut reduziert. Meine große Befürchtung ist, dass wir eine Kindergrundsicherung bekommen, die zwar den Namen trägt, aber mit dem Konzept der Armutsbekämpfung nur noch wenig zu tun hat. Die aktuelle Debatte kann ich auch deshalb nicht nachvollziehen, weil die Kosten für eine Kindergrundsicherung deutlich geringer sein werden als das, was der Staat zahlen muss, wenn Kinder und Jugendliche in Armut aufwachsen. Um es plakativ zu sagen: Wer in Armut aufwächst, lernt schlechter, macht einen schlechteren Schulabschluss und hat dadurch schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das ist alles lange bekannt. Kinderarmut zu bekämpfen, geht nicht zum Nulltarif. Deshalb hoffe ich, dass sich am Ende die Vernunft durchsetzt.

Ihr Vorgänger Heinz Hilgers hat den Kinderschutzbund 30 Jahre lang geführt. Wie unterscheidet sich Ihr Stil von seinem?

Mit Heinz Hilgers habe ich sehr lange zusammengearbeitet und danke ihm sehr für das, was er in den letzten 30 Jahren geleistet hat. Ich bin Wissenschaftlerin und versuche durch empirische Erkenntnisse zu überzeugen. Dadurch habe ich sicher eine andere Sprache. Die Themen, für die der Kinderschutzbund steht – die Bekämpfung von Kinderarmut, die Prävention und Intervention bei Gewalt – werde ich aber genau so vehement vertreten.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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